Gegen jede Vernunft
führte seine Offenherzigkeit dazu, dass er dem Kläger die Pizza zu heftig empfahl und das Objekt im darauf folgenden Handgemenge fahrlässigerweise auf dem Kopf desselben landete ...“
„Ein ausgesprochen amüsanter Vortrag der Verteidigung. Fünfzig Dollar erscheinen mir eine angemessene Strafe.“
Rachel hangelte sich durch die morgendlichen Sitzungen. Taschendiebstahl, Trunkenheit in Verbindung mit Ruhestörung, zwei weitere Beleidigungen und ein Bagatelldelikt. Gegen Mittag schlossen sie mit einem Fall von Ladendiebstahl ab. Rachel musste all ihre juristischen Fähigkeiten aufbieten, um den Richter davon zu überzeugen, dass zunächst ein psychiatrisches Gutachten eingeholt werden sollte.
„Nicht übel.“ Der Staatsanwalt war nur wenige Jahre älter als die sechsundzwanzigjährige Rachel, zählte sich aber im Geschäft bereits zu den alten Hasen. „Schätze, der Vormittag ist unentschieden ausgegangen.“
Rachel lächelte und schloss die Aktenmappe.„Keineswegs, Spelding. Bei der Sache mit dem Ladendiebstahl habe ich dich ganz schön alt aussehen lassen.“
„Möglich.“ Spelding begleitete sie zum Gerichtsgebäude hinaus. „Dein Mandant wird bald wieder zurechnungsfähig sein.“
„Aber sicher. Der Typ ist zweiundsiebzig, stiehlt bevorzugt Einweg-Rasierer und lässt Glückwunschkarten mitgehen, auf denen Blümchen abgebildet sind. Zweifellos handelt er bei klarem Verstand.“
„Ihr Strafverteidiger seid einfach zu mitleidig“, erwiderte er freundlich. Rachels Fähigkeit, juristisch zu argumentieren, fand seine ungeteilte Bewunderung. Diese Einschätzung traf übrigens auch auf ihre Beine zu. „Weißt du was? Ich werde uns etwas zum Essen besorgen, und du kannst dabei versuchen, meine Einstellung zur Gesellschaft zu ändern.“
„Tut mir Leid.“ Sie lächelte ihm zu und stieg die Treppen hinunter. „Ich muss noch zu einem Mandanten.“
„Ins Gefängnis?“
Sie zuckte mit den Schultern. „Üblicherweise treffe ich sie dort. Also, viel Glück bei unserem nächsten Zusammentreffen, Spelding.“
Das Untersuchungsgefängnis war ein Gebäude mithohem Lärmpegel, in dem es ständig nach abgestandenem Kaffee roch. Rachel trat leicht fröstelnd ein. Dabei hatte der Wetterbericht einen heißen Sommertag angekündigt. Und jetzt hing eine dichte Wolkenschicht über Manhattan. Rachel ärgerte sich, dass sie weder einen Mantel noch einen Regenschirm mitgenommen hatte.
Vielleicht konnte sie in spätestens einer Stunde zurück im Büro sein, bevor es anfing zu regnen. Sie begrüßte ein paar der Polizisten, die sie kannte, und legte ihren Besucherausweis vor.
„Nicholas LeBeck“, erklärte sie dem wachhabenden Sergeanten. „Versuchter Einbruch.“
„Ja ja ...“ Der Sergeant blätterte die Papiere durch. „Dein Bruder hat ihn eingelocht. LeBeck ist gerade erst zu uns gekommen.“
Rachel seufzte. Die Tatsache, dass ihr Bruder Polizist war, machte ihr das Leben nicht gerade leichter. „Ich habe davon gehört. Hat er von seinem Recht zu telefonieren Gebrauch gemacht?“
„Nein.“
„Hat ihn jemand besucht?“
„Nein.“
„Na, großartig.“ Rachel hob die Aktenmappe hoch. „Dann lass ihn bitte holen.“
„Sieht so aus, als bekämst du wieder einen waschechten Verlierertypen, Rachel. Raum A, wenn’s beliebt.“
„Danke.“ Sie wandte sich ab und ging zu dem kleinen Raum, der nur mit einem langen Tisch und vier Stühlen ausgestattet war. Unterwegs gelang es ihr, sich eine Tasse Kaffee zu besorgen. Sie setzte sich, öffnete die Mappe und nahm die Akte von Nicholas LeBeck heraus.
Ihr Mandant war neunzehn, arbeitslos und wohnte in einem Zimmer in der Lower East Side. Sie seufzte beim Anblick seines Vorstrafenregisters. Keine weltbewegenden Delikte, stellte sie fest, aber es reichte, um diesmal erheblich in Schwierigkeiten zu kommen. Mit dem versuchten Einbruch war er eine Stufe höher geklettert, und auch die Möglichkeit, ihn als Minderjährigen einzustufen, war nur ein schwacher Lichtblick. Immerhin hatte er elektronische Geräte im Wert von mehreren tausend Dollar in einem Seesack bei sich, als Detective Alexej Stanislaski ihn schnappte.
Alex würde ihr den Sachverhalt ausgiebig schildern, daran bestand kein Zweifel für Rachel. Ihr Bruder tat nichts lieber, als sie mit der Nase auf alle Einzelheiten einer Straftat zu stoßen, das wusste sie aus Erfahrung.
Sie nahm noch einen Schluck aus dem Pappbecher,als ihr Mandant von einem griesgrämigen Polizisten hereingeführt
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