Gegensätze ziehen sich aus
ähnlich: ein hochgeschossenes, schlaksiges Mädchen mit friesisch blondem Haar und großen grauen Augen. Auch meine hellblonden Wimpern hatte sie geerbt, aber seit sie elf war und zum ersten Mal »Ich bin ja so furchtbar hässlich, ich habe Wimpern wie ein Borstenschwein!« geschrien hatte, nahm ich sie einmal im Monat mit zur Kosmetikerin, die uns beiden die Wimpern schwarz färbte. Seitdem hatte Nelly nichts mehr an ihrem Äußeren auszusetzen. Minderwertigkeitskomplexe, wie ich sie mit vierzehn gepflegt hatte und heute manchmal noch pflegte, waren ihr völlig fremd.
»Na endlich«, sagte sie.
»Ja, freut mich auch, dich zu sehen«, sagte ich und gab ihr einen Kuss.
Julius hängte sich an meinen Hals. »Mami, ich habe kein Mal gebrochen!«
»Na, das ist aber toll«, sagte ich und sah Lorenz anerkennend an. Normalerweise vergaß er regelmäßig, dass Julius gewisse Lebensmittel nicht vertrug.
»Guck nicht so erstaunt«, sagte Lorenz, während er versuchte, zahllose Gepäckstücke aus geprägtem karamellfarbenem Leder übereinanderzustapeln. »Wir waren nicht bei McDonald's. Ich habe gekocht.«
Jetzt guckte ich wirklich erstaunt.
»Papa hat die Gurke geschält«, korrigierte Nelly. »Den Rest haben Paris und ich gemacht. Können wir endlich?«
Der Gepäckstapel, den Lorenz so kunstvoll aufgetürmt hatte,fiel in sich zusammen. Lorenz fluchte. »Man könnte denken, wir wandern aus. Dabei sind wir nur eine Woche unterwegs.«
»Nur ist gut.« Paris kam in den Flur und küsste mich auf beide Wangen. Ich wunderte mich immer wieder aufs Neue, wie unbefangen sie sich mir gegenüber verhielt. Keine Spur von Berührungsängsten aufgrund eines schlechten Gewissens oder so was. Sie hatte von Anfang an signalisiert, meine Freundin sein zu wollen, obwohl sie mir meinen Mann ausgespannt hatte und eigentlich nicht damit rechnen konnte, dass ich sie jemals gern haben würde. Aber durch ihre hartnäckige Freundlichkeit schloss ich sie tatsächlich immer mehr in mein Herz. Manchmal ertappte ich mich sogar bei Gedanken wie: »Die liebe Paris hätte eigentlich einen besseren Typ verdient als meinen egozentrischen Ex.«
»Sag ihr bitte, dass es für Schwangere nichts Besseres gibt, als nach Venedig zu fliegen«, sagte Lorenz zu mir.
»Vor allem bei dem Wetter«, sagte ich.
Paris machte ein sorgenvolles Gesicht. »Eine Mutter aus meinem Zwillings-Forum kennt eine Frau, die eine Frau kennt, die eine Fehlgeburt nach so einem Flug hatte.«
»Ich kenne auch eine Frau, die eine Frau kennt, deren Cousine eine Fehlgeburt hatte, weil sie einen Film mit Vince Vaughn anschauen musste«, sagte ich, und Lorenz lachte.
Paris hingegen sah mich entsetzt an. »Wirklich? Wie furchtbar!« Wenn ich nicht gewusst hätte, dass sie Nellys Mathematikaufgaben ohne Taschenrechner lösen konnte, hätte ich sie möglicherweise für ein wenig unintelligent gehalten. Aber das waren einfach nur die Schwangerschaftshormone. Sie sah fantastisch aus wie immer, die glänzenden goldenen Haare flossen an ihrem Dolce&Gabbana-Top hinab bis zu den schmalen Hüften. Die Jeans war definitiv keine Schwangerschaftshose, allenfalls eine Nummer größer als die, die Paris im nichtschwangeren Zustandtrug. Wahrscheinlich würde sie auch im neunten Monat noch aussehen wie ein Supermodel, aber bis dahin war es noch lang. »Ich würde wirklich am liebsten zu Hause bleiben.«
»Der Arzt hat gesagt, dass es völlig ungefährlich ist«, sagte Lorenz. »Sag ihr, dass es völlig ungefährlich ist, Constanze.«
»Es ist völlig ungefährlich«, sagte ich.
»Außerdem wolltest du mir was mitbringen, vergessen?«, sagte Nelly.
»Natürlich nicht«, sagte Paris. Ihre Miene blieb aber unübersehbar skeptisch.
»Na, also!« Lorenz sah auf die Uhr. »In zwanzig Minuten kommt unser Taxi.«
»Das wird sicher eine tolle Woche«, sagte ich.
»Ja, sicher«, sagte Paris. »Wenn ich nur nicht alle zwanzig Minuten aufs Klo rennen müsste.«
»Wenn ihr wieder da seid, brauche ich mal deinen Rat«, sagte ich.
»Meinen Rat? Du?« Paris sah mich neugierig an. »Bei was denn?«
»Es geht um Schuhe«, sagte ich. »Oh ja, da kenne ich mich aus!«
Ja, das wusste ich doch. Paris küsste Manolo links und rechts auf die Wangen, wenn sie ihn traf. Und Donnatella nannte sie »Honey«. Von Anne, Trudi und Mimi hatte ich strenge Order, Paris' Kontakte so gut es ging auszubeuten.
»Für irgendwas muss es ja gut sein, dass dein Exmann dich für ein Model sitzen gelassen hat«, hatte Anne
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