Gegenwinde
rundliche Dame mit Brille, die stets geblümte Kleider trug und ihr Vokabular offensichtlich aus den Psychologie-Seiten einer Frauenzeitschrift bezog. Unentwegt beschwor sie mich, einen mit ihr befreundeten Kinderpsychiater aufzusuchen, ihrer Meinung nach konnte nur ein Seelenklempner Clément helfen, »aus seiner Lethargie herauszukommen, sich zu öffnen und die Verweigerungshaltung aufzugeben, in der er sich eingerichtet hat«. Zum Schluss hatte ich mich gar nicht mehr bemüht, meinen Ärger über ihr dummes Gerede zu verbergen, und sie gebeten, sich gefälligst auf ihren Unterricht in Schreiben und Rechnen zu beschränken, um das Übrige würde ich mich kümmern und sie solle aufhören mich zu nerven. Ich hatte Clément an der Hand genommen, und wir waren wortlos davonmarschiert. Während er bei McDonald’s seine Nuggets kaute, verirrte sich sogar ein Lächeln auf sein Gesicht, das war so lange nicht mehr vorgekommen, dass ich es gar nicht fassen konnte.
»Warum lächelst du?«
»Nur so. Weil du das zu der dicken Kuh gesagt hast.«
»Der dicken Kuh?«
»Ja, so heißt sie bei uns.«
»War es dir nicht unangenehm, dass ich so mit ihr geredet habe?«
»Nein. Im Gegenteil. Jetzt nervt sie mich vielleicht auch nicht mehr.«
Manon erwachte kurz vor Rennes, sie wusste nicht mehr, wo sie war und wohin wir fuhren, ich will heim, ich will heim, wiederholte sie hartnäckig. Ich tat, was ich konnte, um sie mit CDs und mit Spielen, die ich kannte, abzulenken, sie ließ sich nicht trösten. Schließlich setzte ich den Blinker. Die Raststätte war hässlich und überfüllt, wir irrten eine Weile die Regale entlang, Manon schniefte und hielt meine Hand, als hätte sie Angst, verlorenzugehen. Ich zog sie zu den Plüschtieren, Panther mit glänzenden Augen, Schafe mit mattem Fell und ein bizarres Schwein stritten sich um das oberste Bord, aber nichts gefiel ihr. Clément blätterte in Videospiel-Zeitschriften. Worin deren Reiz bestand, war mir schleierhaft, in diesem Bereich wie in vielen anderen schien mir nichts über die Praxis zu gehen, aber ich angelte trotzdem vier Euro aus meiner Gesäßtasche, und dann trollten wir uns wieder. Die Kinder krabbelten ins Auto, Manon wirkte beruhigt, und Clément drückte seine Zeitschrift an sich, ich qualmte und sah zu, wie sich die beiden in die alte Decke einmummten. Unter dem dunklen Himmel brummten die Motoren, und das Lichterband der Autobahn durchschnitt den Horizont. Ich streckte mich, versuchte mit den Fingerspitzen meine Füße zu erreichen, meine ganze Wirbelsäule war ein einziger Knoten. Kistenpacken und Ausräumen des Hauses hatten mich fertiggemacht, mein Rücken war kaputt, alles tat mir weh, mein Körper ließ mich die Jahre schlechter Behandlung büßen, Teer Nikotin Alkohol, und die zwei Zentner, die meine Knochen zu tragen hatten. Bevor ich weiterfuhr, musterte ich im Rückspiegel mein Gesicht, es sah nicht gut aus: Ringe unter den Augen, gelber Teint, abgespannte Züge und das Gebiss eines Greises. Da stehen nur noch Ruinen, hatte mir der letzte Zahnarzt, zu dem ich mich getraut hatte, erklärt, bevor er einen Seufzer ausstieß, der Bände sprach über das Ausmaß der Schäden und die Summe, die ich würde hinblättern müssen, um noch ein paar Jahre mein Steak kauen zu können und ihm den Eintritt in schicke neue Golfclubs zu ermöglichen. Natürlich war ich nie wieder hingegangen, unter dem Vorwand, dass ich ihn nicht mochte, dass mich sein Gerede anödete, und Sarah hatte mit den Schultern gezuckt. Es sind schließlich deine Zähne, hatte sie gesagt, als spräche sie mit einem unvernünftigen, launischen Kind.
Das Hotel ging auf den Strand hinaus, ein der Gischt ausgesetztes, bürgerlich altmodisches Haus, vom Speisesaal bis zu den Zimmern überladen mit geblümten Stoffen und Trockensträußen, das glänzende Holz der Möbel verströmte einen süßen Duft nach Honig und Wachs. Manon stürzte sich aufs Bett, das geblümte Federbett war tief wie Pulverschnee. Ich zog die Vorhänge auf, das Meer spritzte bis auf die Promenade, man konnte es kaum vom Himmel unterscheiden, weiß glitzernde Gischtfontänen überraschten die wenigen Spaziergänger, die mit spitzen Schreien auseinanderstoben. Die Kleine hüpfte eine gute halbe Stunde auf der Matratze herum. Die Sprungfedern jaulten um ihr Leben. Clément achtete nicht darauf, in einen Sessel versunken, die dünnen Arme um die Knie geschlungen, starrte er auf den Fernseher, wo in hypnotisierendem Rhythmus die Kanäle
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