Geheimauftrag: Liebe
musterte sie langsam vom Kopf bis zu den Spitzen ihrer Stiefel. »Mir war nicht klar, dass du es bist.«
Hitze züngelte über ihre kalte Haut. Seine Stimme war dunkel, dazu so tief und so träge, wie sie es in Erinnerung hatte, ungebrochen in ihrer verführerischen Macht, ob er das nun beabsichtigte oder nicht. Etwas in ihrem Innern zog sich zusammen, doch sie beachtete das Gefühl nicht weiter, versuchte nachzudenken.
Die Erkenntnis, dass er der allerletzte Mensch war, den sie hierhaben wollte – innerhalb eines Umkreises von zehn Meilen oder gar mehr –, kam ihr schlagartig und erschütterte sie zutiefst.
»Nun, dem ist aber so. Und jetzt, wenn es dich nicht stört, werde ich mir meinen dringend benötigten Schlaf gönnen.« Sie drückte die Klinke herunter und öffnete die Tür, trat ins Zimmer und schloss sie wieder.
Versuchte es. Die Tür blieb beharrlich einen etwa vier Zoll breiten Spalt offen.
Sie stemmte sich dagegen, dann seufzte sie abgrundtief. Lehnte die Stirn gegen die Tür. Verglichen mit ihm war sie ein Leichtgewicht. Er hielt die Tür mit nur einer Hand auf.
»In Ordnung!« Sie trat zur Seite und warf die Hände in die Luft. »Dann sei eben schwierig«, stieß sie zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. So müde, wie sie war, stand sie kurz davor, die Geduld zu verlieren. Sie wusste genau, das war keine gute Voraussetzung, wenn man mit Charles Maximilian Geoffre St. Austell zu tun hatte.
Sie marschierte durchs Zimmer, riss den Hut herunter, setzte sich auf die Bettkante. Mit zusammengezogenen Brauen beobachtete sie, wie er eintrat. Er ließ die Tür halb offen stehen und blickte zu ihr, bevor er sich im Zimmer umschaute.
Er bemerkte ihre Bürsten auf der Frisierkommode, sah zu dem Schrank und die Halbstiefelchen davor und weiter zu dem Bett. Das alles dauerte nicht länger, als er benötigte, um mit sicheren, beinahe arroganten Schritten den Raum zu dem Lehnstuhl am Fenster zu durchqueren. Sein Blick kehrte zu ihr zurück, als er sich hinsetzte. Nicht dass das Wort »setzen« die Bewegung angemessen beschrieb; sein Körper strahlte eine Eleganz und Stärke aus, die unglaublich männlich und selbstsicher wirkte.
Sein schwarzes Haar war lockig. Im Moment trug er es kurz geschnitten, aber dennoch umrahmte es üppig sein Gesicht. Er hatte markante Züge, dunkle Brauen über großen, tief liegenden Augen, eine gerade Nase und ein energisches Kinn sowie Lippen, über die sie besser nicht länger nachdachte.
Für die Dauer von zwei Herzschlägen blieb sein Blick auf ihr ruhen – sie konnte es spüren trotz des schwachen Lichtes. Er hatte immer schon besser im Dunkeln sehen können als sie. Wenn sie diese Befragung überstehen sollte, ohne ihre Geheimnisse preiszugeben, dann würde sie sich fest in der Hand haben müssen.
Die Initiative zu ergreifen schien nur klug.
»Was tust du zu Hause?« Ihre ganze Überzeugung, die Abbey sei ein sicherer Hafen, klang aus diesen Worten, ließ die Frage vorwurfsvoll erscheinen.
»Ich lebe hier, schon vergessen?« Nach einem Augenblick fügte er hinzu: »Genau genommen gehört die Abbey mir, und das ganze Land auch.«
»Ja, aber …« Sie würde nicht zulassen, dass er sich auf die Argumentation verlegte, dass er ihr Gastgeber sei und daher am Ende in irgendeiner Weise verantwortlich für sie. »Marissa, Jacqueline und Lydia, Annabelle und Helen sind nach London gefahren, um dir dabei zu helfen, eine Frau zu finden. Meine Stiefmutter, deine Patentante, und meine Schwestern befinden sich ebenfalls dort. Voller Elan sind sie abgereist, mit geblähten Segeln sozusagen. In den Salons hier und auf Wallingham hat es seit Waterloo kaum ein anderes Gesprächsthema gegeben. Du solltest dort sein, nicht hier.« Sie machte eine Pause, schaute ihn blinzelnd an und fragte: »Wissen sie eigentlich, dass du hier bist?«
Da sie ihn kannte, wusste sie, dass dies die entscheidende Frage war.
Obwohl er sich keine Gefühlsregung anmerken ließ, spürte sie seine Verärgerung, merkte bei seiner Antwort jedoch, dass sie nicht ihr galt.
»Sie wissen, dass ich herkommen musste.«
Musste? Sie rang darum, ihre Betroffenheit zu verbergen. »Warum?«
Sicherlich, sicherlich konnte es nicht sein …?
Charles wünschte sich, es gäbe mehr Licht oder der Stuhl stünde näher am Bett, denn er konnte Pennys Augen nicht richtig sehen und auch ihren Gesichtsausdruck im Dämmerlicht nicht deuten. Er hatte den sicheren Abstand des Lehnstuhls gewählt aus Rücksicht auf sie beide.
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