Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Geheime Spiel

Geheime Spiel

Titel: Geheime Spiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: K Morton
Vom Netzwerk:
Adresse: Mrs Jan Ryan, 5/45 Lancaster Court, Fulham, London SW6.
     
    Mit freundlichen Grüßen
    Ursula Ryan

Geister regen sich
    L etztes Jahr im November hatte ich einen Albtraum. Es war das Jahr 1924, und ich war wieder in Riverton. Alle Türen standen weit offen, seidene Vorhänge bauschten sich im Sommerwind. Ein Orchester spielte auf dem Hügel unter dem alten Ahornbaum. Schwungvolle Geigenmelodien, helles Lachen und das Klirren von Kristall erfüllten die warme Luft, und der Himmel erstrahlte in einem Blau, von dem wir alle geglaubt hatten, der Krieg hätte es für immer geraubt. Einer der Diener, adrett in Schwarz und Weiß gekleidet, goss Champagner in das oberste Glas eines Turms aus Sektflöten, und alle klatschten Beifall und amüsierten sich über diese köstliche Verschwendung.
    Wie es oft in Träumen der Fall ist, konnte ich mich selbst zwischen den Gästen sehen. Ich bewegte mich sehr langsam, viel langsamer, als es in Wirklichkeit möglich ist, und nahm die anderen nur noch verschwommen als Meer aus Seide und Pailletten wahr.
    Ich suchte jemanden.
    Dann änderte sich das Bild, und ich befand mich in der Nähe des Sommerhauses, nur dass es nicht das Sommerhaus von Riverton war – das konnte es unmöglich sein. Es war nicht das nagelneue Haus, das Teddy selbst entworfen hatte, sondern ein alter Schuppen, umrankt
von Efeu, das durch die Fenster hineinkroch und sich wie würgend um die stützenden Balken schlängelte.
    Eine Frauenstimme, die ich erkannte, rief vom Seeufer hinter dem Haus meinen Namen. Als ich den Weg hinunterging, streiften meine Hände das Schilf. Am Ufer hockte eine Gestalt.
    Es war Hannah in ihrem Hochzeitskleid, die am Oberteil applizierten Rosen waren mit Schlamm bespritzt. Sie blickte mit bleichem Gesicht zu mir auf. Als ich ihre Stimme hörte, lief mir ein eiskalter Schauer über den Rücken. »Du kommst zu spät.« Sie zeigte auf meine Hände. »Du kommst zu spät.«
    Ich betrachtete meine Hände, junge, mit dunklem Flussschlamm bedeckte Hände; sie hielten den kalten, steifen Körper eines toten Jagdhundes.
     
    Natürlich weiß ich, was den Traum verursacht hat. Es war der Brief von dieser Filmemacherin. Ich bekomme schon lange kaum noch Post: hin und wieder mal eine Urlaubskarte von pflichtbewussten Freunden, einen nichtssagenden Brief von der Bank, bei der ich ein Sparkonto unterhalte, eine Einladung zur Taufe eines Kindes, dessen Eltern, wie mir dann plötzlich bewusst wird, inzwischen selbst keine Kinder mehr sind.
    Ursulas Brief war an einem Dienstagmorgen Ende November eingetroffen, und Sylvia hatte ihn mir ans Bett gebracht. Mit hochgezogenen Brauen hatte sie mit dem Brief in der Luft gewedelt.
    »Post für Sie. Irgendwas aus den Staaten, nach den Briefmarken zu urteilen. Vielleicht von Ihrem Enkel?« Ihre linke Braue krümmte sich zu einer Art Fragezeichen, und sie senkte die Stimme zu einem heiseren Flüstern. »Schreckliche Sache. Einfach schrecklich. Dabei ist er doch so ein netter junger Mann.«

    Während Sylvia seufzend den Kopf schüttelte, bedankte ich mich für den Brief. Ich mag Sylvia. Sie gehört zu den Wenigen, die hinter meinem faltigen Gesicht die Zwanzigjährige erkennen können, die noch immer in mir lebendig ist. Aber in ein Gespräch über Marcus lasse ich mich deswegen noch lange nicht von ihr verwickeln.
    Als ich sie bat, die Vorhänge aufzuziehen, schürzte sie einen Moment lang die Lippen, dann ging sie zu einem ihrer anderen Lieblingsthemen über: das Wetter. Sie überlegte, wie groß die Wahrscheinlichkeit war, dass wir zu Weihnachten Schnee bekämen, und was für eine Katastrophe das für die alten, gebrechlichen Leute wäre. Ich antwortete auf ihre Fragen, war jedoch eigentlich mit dem Umschlag auf meinem Schoß beschäftigt, wunderte mich über die krakelige Schrift, die ausländischen Briefmarken, die zerknitterten Ecken, die darauf schließen ließen, dass der Brief einen langen Weg hinter sich hatte.
    »Kommen Sie, ich lese Ihnen den Brief vor«, sagte Sylvia, während sie meine Kissen noch einmal aufschüttelte. »Dann können Sie Ihre Augen ein bisschen ausruhen.«
    »Nein danke. Aber würden Sie mir bitte meine Brille reichen?«
    Nachdem sie sich mit dem Versprechen verabschiedet hatte, noch einmal zurückzukommen und mir beim Anziehen zu helfen, sobald sie ihre Runde gemacht hatte, nahm ich mit meinen ständig zitternden Händen den Brief aus dem Umschlag, in der vagen Hoffnung, dass Marcus endlich wieder nach Hause kommen

Weitere Kostenlose Bücher