GEHEIMNISSE DER NACHT
… Stöbern. Das Haus ist riesig, weißt du.“
„Nein, ich weiß es nicht, schließlich habe ich es noch nie gesehen. Du klingst etwas außer Atem.“
„Das liegt an den zwei Stockwerken.“
Sie bemerkte sein Zögern. Er neigte dazu, sich viel mehr Sorgen um sie zu machen, als nötig war.
„Wie ist das Haus eigentlich?“, fragte er schließlich.
„Die reinste Ruine“, berichtete sie ein wenig ironisch, einerseits, um ihn zu beruhigen, und andererseits, weil sie ihn zu gern ein wenig aufzog. „Und das geschieht dir recht, weil du es gekauft hast, ohne es dir vorher anzusehen. Wer macht so etwas überhaupt?“
Sie sah sein Gesicht fast vor sich, die Lachfalten um die Augen, den kahl werdenden Kopf. David war ihr bester Freund, solange sie sich erinnern konnte. „Ein Freund der Familie“, hatten ihre Eltern immer gesagt. Aber Morgan war es immer so vorgekommen, als könne er die Familie kaum ertragen.
Natürlich hatte er die ganze Zeit gewusst, wie es um ihre Eltern wirklich bestellt war. Sie selbst hatte es erst vor Kurzem erfahren, durch die Schlagzeilen der Regenbogenpresse und durch die Aasfresser im Gerichtssaal.
„Ich habe es wegen der Lage gekauft, das weißt du genau“, erklärte David geduldig. „Und ich vertraue meinem Immobilienguru, was solche Dinge angeht. Das Haus wird sowieso abgerissen.“
„Ja, und es trägt selbst seinen Teil dazu bei. Sogar während wir uns unterhalten.“
Er schwieg einen Augenblick. „So schlimm, was?“
Morgan hätte sich ohrfeigen können. Manchmal war sie eine richtige egoistische kleine … „Ist es nicht“, sagte sie schnell. „Das war nur ein Scherz.“ Sie sah sich in dem Zimmer um, das sie sich zum Wohnen ausgesucht hatte. Es war vor langer Zeit einmal Bibliothek oder Arbeitszimmer von jemandem gewesen.
Der kleine Junge aus dem Tagebuch kam ihr in den Sinn, und sie fragte sich, ob ihm dieses Haus gehört hatte. Als er älter war vielleicht, als er sich entschieden hatte, seine Memoiren zu schreiben.
Aus dem Augenwinkel konnte sie ihn sehen. Eine dunkle, breitschultrige Gestalt beugte sich über den Schreibtisch, eine Schreibfeder in der langen eleganten Hand. Ihr Herz machte einen Sprung, und sie hielt den Atem an, als sie sich zu ihm drehte. Aber da war nichts. Kein Mann, keine Gestalt, keine Schreibfeder. Nur ihr Computer mit dem leuchtend blauen Bildschirm. Was auch immer sie gesehen hatte, war im gleichen Augenblick wieder verschwunden. Eine Vision. Eine Gedankengestalt. Vielleicht eine etwas zu reale Fantasie.
Ein Schaudern kroch ihren Rücken hinauf, aber sie schüttelte es ab.
„Beschreib es mir“, forderte David sie auf.
„Was?“ Morgan musste sich zwingen, ihren Blick von dem alten Schreibtisch zu lösen.
„Das Haus. Beschreib es mir.“
Ihr Blick huschte noch einmal hinüber zum Schreibtisch. Niemand dort. Mit einem Seufzen versuchte sie, Davids Bitte nachzukommen. „Früher muss es atemberaubend gewesen sein. Die Verzierungen um den Kamin sind abgestoßen und verblasst, aber immer noch prächtig. Ich glaube, sie sind aus Hartholz. Du solltest das ganze Teil herausnehmen, ehe du den Rest abreißt. Und jedes Fenster hat einen handgeschnitzten Rahmen. Dieser Ort … ich weiß nicht. Er hat was.“
„Allerdings ganz anders, als das, was du gewöhnt bist“, sagte David.
„Ja, na ja, es ist nicht Beverly Hills, und es kommen keine Filmstars zu den Poolpartys … aber dann würde ich ja auch nicht zum Arbeiten kommen, nicht wahr?“
„Und, kommst du? Zum Arbeiten?“
Morgan blickte auf den leuchtenden blauen Bildschirm ihres Computers – der den Mahnungen der Nachlassverwalter nur entgangen war, weil sie ihn bei sich an der Universität in L.A. gehabt hatte, als ihre Eltern verunglückt waren und das wahre Ausmaß ihrer Finanzen ans Licht kam. Sie waren pleite und so hoch verschuldet, dass Morgan die tatsächlichen Zahlen kaum begreifen konnte. Zuerst hatte es einfach keinen Sinn ergeben. Ihr Vater war ein erfolgreicher Regisseur, ihre Mutter eine Schauspielerin, die zwar vor einem Jahrzehnt am Höhepunkt ihrer Karriere angekommen war und sich jetzt mit kleineren Rollen begnügte, die mit dem Leben aber zufrieden schien.
Jedenfalls hatte Morgan das geglaubt. Sie musste dann rasch lernen, dass sie in einer Seifenblase gelebt hatte. Im Blut ihrer Eltern war bei der Autopsie genug Kokain festgestellt worden, um den Gerichtsmediziner die Frage stellen zu lassen, wie sie überhaupt hatten fahren können.
Sie waren Junkies,
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