Gehetzte Uhrmacher
er ihnen einen Nickel Trinkgeld gegeben. Ich meine, ein Trinkgeld für einen Streifenbeamten ist schon dämlich genug. Und dann auch noch bloß fünf verdammte Cents?«
Er stellte den Fernseher etwas leiser. »He, wollen Sie noch eine Geschichte hören?«, fragte Snyder lachend.
»Na klar.«
»Nun, Ihr Dad und ich und noch zwei von uns sind nach Dienstschluss zum Madison Square Garden unterwegs gewesen, weil wir uns einen Boxkampf oder ein Spiel oder so ansehen wollten. Und da kommt plötzlich dieser Junge mit einer selbst gebastelten Knarre an. Haben Sie so ein Ding schon mal gesehen?«
Ja. Aber sie sagte: »Nein.«
»Im Prinzip bloß ein Metallrohr mit einem Nagel am Ende. Geladen mit einer einzelnen Zweiundzwanziger-Patrone. Und dieser arme Esel überfällt uns, das muss man sich mal vorstellen. Mitten auf der Vierunddreißigsten Straße. Wir ziehen unsere Brieftaschen heraus. Dann lässt Ihr Dad seine fallen, anscheinend ganz zufällig, wenn Sie verstehen, was ich meine. Und der Junge bückt sich, um sie aufzuheben. Als er sich wieder aufrichtet, macht er sich fast in die Hose, denn er schaut genau in die Mündungen unserer Kanonen, vier Smitties, gespannt und schussbereit. Dieser Gesichtsausdruck... Er hat gesagt: ›Ich schätze, das ist nicht mein Tag.‹ Ist das ein Klassiker oder was? ›Ich schätze, das ist nicht mein Tag.‹ Mann, wir haben noch den ganzen Abend darüber gelacht...« Er lächelte. »Ach, und dann war da...«
Während er erzählte, nickte Sachs ihm aufmunternd zu. In Wahrheit kannte sie viele dieser Geschichten bereits, denn Herman Sachs hatte seiner Tochter oft und gern von der Arbeit berichtet. Immer wenn sie stundenlang in der Garage an irgendeinem Getriebe oder einer Benzinpumpe herumschraubten, schilderte er seinen Alltag auf den Straßen New Yorks – und legte damit den Grundstein für Amelias Zukunft. Doch sie war natürlich nicht hergekommen, um etwas über die Geschichte ihrer Familie zu erfahren. Sie war dem Hilferuf eines Kollegen gefolgt, einem Zehn-Dreizehn des Herzens. Sachs hatte beschlossen, den ehemaligen Detective Art Snyder nicht im Stich zu lassen. Da seine angeblichen Freunde nichts mehr mit ihm zu tun haben wollten, weil er geholfen hatte, die St.-James-Bande zu enttarnen, würde Amelia ihn eben mit Cops bekannt machen, die sich freuten, ihn kennen zu lernen: sie selbst, Sellitto, Rhyme und Ron Pulaski, Fred Dellray, Roland Bell, Nancy Simpson, Frank Rettig und ein Dutzend andere.
Sie stellte ihm weitere Fragen, und er antwortete – manchmal eifrig, manchmal mürrisch, manchmal zerstreut, aber stets mitteilsam. Zwischendurch stand Snyder einige Male auf und füllte seinen Bechernach, und häufig schaute er erst auf die Uhr und dann zu Sachs, als wolle er sie fragen: Haben Sie denn nichts Besseres zu tun?
Aber sie saß einfach nur bequem auf dem Ruhesessel, stellte ihre Fragen und steuerte sogar ein paar eigene Anekdoten bei. Amelia Sachs ging nirgendwohin; sie hatte alle Zeit der Welt.
Anmerkung des Verfassers
Autoren sind nur so gut wie die Freunde und Kollegen um sie herum, und ich habe das überaus große Glück, von einem wahrhaft wunderbaren Ensemble umgeben zu sein: Will und Tina Anderson, Alex Bonham, Louise Burke, Robby Burroughs, Britt Carlson, Jane Davis, Julie Reece Deaver, John Gilstrap, Cathy Gleason, Jamie Hodder-Williams, Kate Howard, Emma Longhurst, Diana Mackay, Joshua Martino, Carolyn Mays, Tara Parsons, Seba Pezzani, Carolyn Reidy, Ornella Robbiati, David Rosenthal, Marysue Rucci, Deborah Schneider, Vivienne Schuster, Brigitte Smith, Kevin Smith und Alexis Taines.
Besonderer Dank gebührt wie immer Madelyn Warcholik.
Wer sich für die Uhrmacherei und das Sammeln von Uhren interessiert, wird an Michael Kordas kompaktem und einfühlsamem Sachbuch Marking Time viel Freude haben.
1. Auflage
© 2006 by Jeffery Deaver © der deutschsprachigen Ausgabe 2007 by Blanvalet Verlag, in der Verlagsgruppe Random House GmbH, München
eISBN : 978-3-894-80383-4
www.blanvalet-verlag.de
www.randomhouse.de
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