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Geier

Geier

Titel: Geier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter J. Kraus
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“Und wenn nicht, kann ich mich ein Leben lang erinnern, dass wir’s vorhatten.”
    Spielverderberin.
    „Allerdings muss ich mir dann nicht jeden Tag Sand aus der Kimme kratzen. Aus den Kimmen“, setzte sie um Genauigkeit bemüht hinzu.
    Ich lachte und tastete beidhändig nach dem angeblichen Sand.
    “Es klappt. Ignacio ist eingeweiht, und er hält den Plan für machbar. Er meint auch, dass mir nichts anderes übrig bleibt. Die sind darauf angewiesen, mich möglichst bald loszuwerden, also werden sie nie Ruhe geben, bis ich bei den Fischen schlafe. Oder weiß ich, was die für mich geplant haben.“
     
    Ich legte mich auf den Rücken und streckte die Beine weit von mir. Dadurch wurde wohl ein Muskel besonders gestrafft. Nur so kann ich mir erklären, warum das Ding schon wieder ausgefahren war.
     
    Wir sprachen nicht mehr darüber. Ich fragte sie, ob sie mit nach Fenner wollte, und sie freute sich auf die Fahrt. Nach dem Abendessen richtete ich meine Online-Bankkonten ein. Dann gingen wir früh ins Bett und schliefen drei oder vier Stunden, ehe wir aufstehen mussten, weil die ersten blutroten Streifen am Himmel erschienen.
    Sammy war genauso früh dran wie wir. Er lachte sich schief, als er uns sah, und wir mussten auch grinsen. Er umarmte Misty und beehrte mich mit einem viel zu festen Händedruck. Ich ließ seine Hand los und umarmte ihn. Er küsste mich auf den Mund.
    “Da kann man nur einen schönen warmen Morgen wünschen”, grinste Misty, und ich gab dem Anwalt einen freundschaftlichen Klaps auf den Po. Zu dritt untergehakt gingen wir in die Kneipe, die um diese Stunde enorme Umsätze machte. Lauter Trucker.
    Einige der Cowboynachfahren hatten uns wohl auf dem Parkplatz beobachtet. Je nach Herkunft und Humor schauten sie giftig oder grinsten. Die meisten grinsten. Wir winkten dankend in die Runde und der dicke Sammy mimte trotz Anzug und mit schwingender Lederaktentasche einen Bauchtanz. Hinten in der Ecke pfiff und klatschte einer. Die Stimmung stieg.
    Wir setzten uns an einen Tisch am Fenster und schauten die Speisekarten an. Ich weiß nicht, wie man frühmorgens so einen Appetit haben kann, aber wir drei hatten offenbar einen Mordskohldampf. Also begann unser Tag mit Speckeiern – Sammy bat um Truthahnspeck -, Waffeln, Brot, Marmelade, genügend Butter, um das Herz akut zu gefährden und einem ordentlichen Schuss Ahornsyrup.
    Und natürlich Kaffee. Diese sehr amerikanische Erfindung, die im Rest der zivilisierten Welt aus der Tasse gelacht würde. Wir trinken ihn literweise, was besonders morgens zum häufigen Pinkeln zwingt. Daher ist beim hiesigen working breakfast meist einer gerade nicht anwesend, was dem Gesprächsverlauf zugutekommt. Man braucht nie nach einem Vorwand suchen, um sich mit dem Mitstreiter abzusprechen, sondern nur Blasenkontrolle üben. Irgendwann hat man die drei Minuten, die man braucht, um Strategie und Taktik abzustimmen.
    Als Sammy rennen musste, flüsterte Misty mir zu, ich solle ihn fragen, wann er nun ihre Läden übernehmen wolle – sie hätte mir gesagt, dass sie sich mit ihm geeinigt habe. Gut, sagte ich ihr, und sie soll gut zuhören, während Sammy und ich meine Sache besprachen. Denn sie kannte noch keine Einzelheiten. Aber jetzt wurde es Zeit. Fand sie auch. Denn sie wollte weg. Wollte die Unsicherheit vom Buckel haben, wollte endlich wieder vergnügt in den Tag schauen können.
    Ich stimmte ihr von ganzem Herzen zu. Wollte ich ja auch.
     
    Sam ließ die Tür zum Ausgang hinter sich zuknallen und machte ein großes Aufhebens davon, dass er “vergessen” hatte, seinen Reißverschluss hochzuziehen. Er griff also mit der Linken seine Hose, suchte mit der Rechten den Zipperzug und zog ihn hoch, während er breitbeinig wippte. Die Unrasierten lachten, weil man in solchen Läden selten kleine, dicke Herrchen im Tausenddollaranzug sieht, die eine derartige Schau abziehen. Zwischendrin tat er noch so, als habe er etwas Empfindliches eingeklemmt, rollte mit den Augen und machte einen Rundmund, während er den Hintern rausstreckte und mit der Hand wedelte.
    “Sammy hätte Komiker werden sollen.”
    “War er mal. Trat als Stand-up-Komiker in den Catskills auf, als Student. Verdiente sich mit Schtetlwitzen und Rabbinerjokes im sogenannten Borscht-Belt sein Studium.”
    “Wie Woody Allen auch.”
    “Genau”, sagte sie. Wie Woody Allen auch. Kein Wunder, dass er hart im Nehmen war. Wer die New Yorker Sommerfrischler unterhalten kann, der kommt bei jedem Publikum an.

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