Geist und Kosmos: Warum die materialistische neodarwinistische Konzeption der Natur so gut wie sicher falsch ist (German Edition)
dass Schmerz schlecht ist und dass es Grund gibt, zu tun, was ihn verhindert, sei es für uns selbst oder für andere. Solche Überlegungen können uns dazu bringen, der unmittelbaren, eingebauten Motivation in Gegenwart von Lust oder Schmerz zu widerstehen, indem wir diesen nur ihren objektiven Wert beimessen. Und selbstverständlich gilt dasselbe für sehr viel kompliziertere Werte wie Aufrichtigkeit und Unaufrichtigkeit, Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit, Treue und Verrat.
Worin besteht diese motivationale Fähigkeit? Wie ich bereits sagte, sollte sie nicht unter dem Gesichtspunkt einer zusätzlichen metaphysischen Komponente der Welt gedeutet werden, die einen kausalen Einfluss auf uns ausübt. Die Merkmale der Welt, die Wert verleihen und Gründe liefern, sind gewöhnliche Tatsachen über die Erfahrungen der Menschen, ihre Beziehungen untereinander und die Auswirkungen, die verschiedene mögliche Handlungsweisen auf das Leben von Menschen und anderer Lebewesen haben. Ein Handlungsgrund ist eine gewöhnliche Tatsache, wie beispielsweise die Tatsache, dass Aspirin bei Kopfschmerzen Abhilfe schafft, und ein Grund ist sie, weil sie eben dafür spricht, dass du bei Kopfschmerzen Aspirin nimmst, oder dafür, dass ich dir Aspirin gebe. Meine Fähigkeit, auf wirkliche Werte einzugehen, ist zumBeispiel die Fähigkeit, motiviert zu sein, dir aus diesem Grund Aspirin zu geben – weil ich weiß, dass es deinen Kopfschmerz beseitigen wird, und weil ich erkenne, dass dies dafür spricht, weil Kopfschmerzen schlecht sind. Solche Dinge tun wir ständig. Was bedeutet das?
Ich glaube, es beinhaltet eine bewusste Kontrolle des Handelns, die nicht als physische Verursachung, mit der Bewusstsein als Epiphänomen einhergeht, analysiert werden kann, und es schließt eine Form des freien Willens ein – obwohl es wie immer sehr unklar bleibt, welcher Sinn dieser Vorstellung beizulegen ist. Ich reagiere bewusst auf einen Wert, wenn ich mich dafür entscheide, dir Aspirin zu geben, weil ich erfahre, dass du Kopfschmerzen hast, und weil ich weiß, dass Aspirin diesen Zustand bessern wird. Natürlich will ich, dass deine Kopfschmerzen verschwinden, aber auch das ist ein Ergebnis meiner Erkenntnis, dass Kopfschmerzen schlecht sind. Die Erklärung für mein Handeln verweist auf diese Tatsachen über Kopfschmerzen und Aspirin in ihrem Status als Gründe – als das, was dafür und dagegen spricht, bestimmte Dinge zu tun. Sie beeinflussen das Verhalten, indem sie von einem wertsensitiven Handelnden als Gründe erkannt werden. Es ist gar nicht so verschieden davon, wie die Anerkennung von Gründen in einer Argumentation die Bildung einer Tatsachenüberzeugung erklären kann – wie im letzten Kapitel erörtert wurde.
Meine Überzeugungen zum traditionellen Problem des freien Willens sind inkompatibilistisch, aber ich bin mir nicht sicher, ob diese Frage für vorliegende Zwecke geklärt werden muss. Wenn es eine Möglichkeit gibt, wie sich bewusste Motivation durch Handlungsgründe mit einem kausalen Determinismus des Handelns entweder physischoder psychologisch in Einklang bringen lässt, dann könnte der Werterealismus mit dem Determinismus vereinbar sein. Momentan möchte ich nur darauf bestehen, dass er mit einer darwinistischen Konzeption, wie unsere Motivationsquellen determiniert sind, nicht zusammenpasst.
Wenn wir die Frage des Determinismus beiseitelassen, stellt sich die unverwechselbare Konzeption des Menschen, die der Werterealismus beinhaltet, so dar: Durch ihr Begreifen von Werten und Gründen, deren Existenz eine Grundform der Wahrheit ist, können die Menschen zum Handeln motiviert sein, und die Erklärung des Handelns durch solche Motive ist eine Grundform der Erklärung, die nicht auf irgendeine andere Form, sei sie psychologisch oder physisch, zurückführbar ist. Ich gebe dir Aspirin, weil ich weiß, dass es deine Kopfschmerzen bessern wird, und drücke damit meine Erkenntnis aus, dass diese Tatsache für das Handeln spricht. Und das ist nicht bloß eine oberflächliche Beschreibung von etwas anderem, das die wirkliche, eigentlich zugrunde liegende Erklärung liefert.
Mit anderen Worten: Menschliches Handeln erklärt sich nicht nur durch die Physiologie oder durch Wünsche, sondern durch Urteile. Wir sind, mit einer Formulierung von Scanlon gesprochen, [9] die Subjekte urteilssensitiver Einstellungen, und diese Urteile haben einen Gegenstand, der über sie hinausweist. Wir leben in einer Welt der Werte und reagieren
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