Geisterfjord. Island-Thriller
die der Kapitän erwähnt hatte, war nirgends zu finden gewesen, und sie hatten alles selbst tragen müssen. Katrín hatte versucht zu zählen, wie oft sie den Weg zum Haus gegangen waren, aber bei dreizehn den Faden verloren – es hätten zwanzig-, fünfzig- oder hundertmal gewesen sein können. Der Muskelkater ließ nicht lange auf sich warten. Bei dem Gedanken an die Schlepperei taten ihr die Arme weh, und sie massierte ihre schmerzenden Muskeln. Es war frustrierend, sich eingestehen zu müssen, dass die ganze Plackerei im Fitnessstudio in den letzten Jahren nicht viel gebracht hatte.
Katrín rutschte auf der Terrasse herum und versuchte, Garðar und Líf an dem Hang westlich des Dorfes auszumachen, konnte aber wegen der vertrockneten Engelwurz vom letzten Sommer nicht viel sehen. Es war schwierig, zwischen den gelblichen Pflanzen etwas zu erkennen, und unmöglich, bis zum Gipfel zu schauen. Garðar hatte erzählt, der Hügel hätte ein angenehmes Gefälle und steige erst zum Schluss bis fast in den nächsten Fjord steil an. Aber Katrín sah nur einen Teil davon und konnte die Spitze nicht erkennen. Sie vermutete, dass Garðar keine große Ahnung gehabt hatte, als er ihr die Umgebung beschrieben hatte, aber sie war zu faul, um aufzustehen und nach den beiden zu suchen. Sie mussten bald zurück sein. Katrín wusste nicht genau, wie lange sie schon weg waren, denn sie trug schon seit Jahren keine Armbanduhr mehr und begnügte sich mit der Uhr in ihrem Handy. Die Batterie war allerdings zu kostbar, um das Handy eingeschaltet zu lassen. Garðar und Líf waren schon so lange weg, dass Katrín froh war, nicht mitgegangen zu sein. Vielleicht war die Aussage des Kapitäns, man hätte auf dem Hügel Empfang, genauso unzuverlässig wie die über die Schubkarre. Womöglich musste man noch viel weiter gehen, um weiter oben Empfang zu bekommen. Es hätte Katrín umgebracht, da oben rumzustiefeln, außerdem konnte Garðar den Makler ruhig selbst fragen, ob die Kisten, die sie im Haus gefunden hatten, ihnen gehörten. Katrín fand das unnötig, zumal sie die Akkus ihrer Handys schonen sollten, falls ein Unwetter hereinbrach und sie Hilfe rufen mussten. Aber wenn sich Garðar einmal etwas in den Kopf gesetzt hatte, ließ er sich nicht davon abbringen, und Katrín hatte nicht protestiert. Sogar als Líf, die zu schlapp war, um beim Renovieren zu helfen, verkündet hatte, sie würde mitgehen, hatte sich Katrín zurückgehalten, dabei hätte sie ihr am liebsten gesagt, sie solle lieber streichen. Wahrscheinlich wollte Líf unbedingt mit, weil sie genau wusste, dass Katrín ihr sofort eine Aufgabe aufdrücken würde, sobald sie alleine wären. Katrín war bei weitem nicht so mitfühlend wie Garðar, der Líf am Morgen gesagt hatte, sie solle sich ruhig ausruhen, bis es ihr wieder besserging.
Wieder ließ Katrín ihren Blick über die verdorrte Vegetation schweifen. Vielleicht war etwas passiert, die beiden waren keine geübten Wanderer, und Líf ein ziemlicher Pechvogel. Katrín musste lächeln. Natürlich war alles in Ordnung. Was sollte denn schon passieren? Hier war niemand außer ihnen, und bis auf Vögel und gräuliche Füchse lebten keine Tiere in dieser Gegend. Ein Fuchs hatte sie gestern Abend eine ganze Weile beim Schleppen beobachtet, sich heute aber noch nicht blicken lassen. Puttis Anwesenheit hatte ihn bestimmt vertrieben. Nun war Katrín fast alleine auf der Welt, denn der arme Hund hatte sich zum Mitlaufen verleiten lassen, obwohl seine kurzen Beinchen kaum kräftig genug wirkten, um Berge zu besteigen. Es war das erste Mal, dass Katrín eine derart allumfassende Einsamkeit erlebte, und sie fand die Umgebung und das menschenleere Haus hinter sich erdrückend. Sie hätte sich über die Gesellschaft des Fuchses gefreut, aber der war weder zu sehen noch zu hören. Katrín hatte keine Ahnung, ob Füchse eher nachts oder tagsüber aktiv waren. Sie hoffte zwar, dass sich das Tier blicken ließ, hätte aber lieber Garðar bei sich gehabt – und Líf natürlich auch. Katrín mühte sich auf die Beine, und obwohl sich jetzt fast der gesamte Hang vor ihr erstreckte, sah sie die beiden nirgends. Aber das hatte nicht viel zu bedeuten, sie trugen erdfarbene Kleidung und waren in der schneelosen Winterlandschaft gut getarnt. Katrín suchte den Pfad mit den Augen nach einer Bewegung ab. Da hörte sie plötzlich aus dem Haus hinter sich ein Knarren. Ein kalter Schauer lief ihr über den Rücken. Am liebsten wäre sie sofort den
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