Geisterfjord. Island-Thriller
übertrieben mitleidig oder sonstwie komisch zu wirken. Das war natürlich unmöglich, und Líf musste gemerkt haben, wie geschickt sie sich immer darum drückte, über Einars Tod zu sprechen. Im Gegensatz zu ihr verhielt sich Garðar vorbildlich, und Katrín war überrascht, wie normal er nach diesem Schock mit der verheulten Líf umging. Vielleicht, weil sich die Männer so nahegestanden hatten, seit der Grundschule beste Freunde gewesen waren und Garðar ebenfalls einen großen Verlust erlitten hatte. Katrín nahm sich vor, sich nicht mehr so kindisch zu verhalten. Sie würden die ganze Woche zusammen sein, und es war nicht möglich, das Thema komplett zu vermeiden oder immer nur Garðar reden zu lassen, wenn die Sprache auf Einars Tod kam. »Es muss eine schreckliche Zeit gewesen sein. Ist es natürlich immer noch.«
»Hm.« Líf wandte sich wieder dem Brot zu und schnitt weitere Scheiben ab. »Wusstest du, dass eine Frau hier aus Hesteyri gesehen hat, wie ihr Mann und ihr Sohn im Meer ertrunken sind?«
»Nein.« Katrín wusste nichts über die Gegend, und wenn diese Geschichte typisch für das Leben hier war, hatte sie nur wenig Interesse, mehr darüber zu erfahren. Zumindest nicht, solange sie vor Ort waren.
»Sie hat wieder geheiratet, und ihr zweiter Mann ist auch ertrunken.« Líf drehte sich mit dem geschnittenen Brot wieder zu Katrín um. »Im Vergleich dazu sind meine Sorgen lächerlich.«
»Es geht einem ja nicht unbedingt besser, nur weil es anderen noch schlechter geht.«
»Nein, aber es hilft zu wissen, dass andere schlimmere Dinge erlebt und durchgestanden haben.« Sie stellte das Brot auf den kleinen Küchentisch, der zum Haus gehörte, stützte die Hände in die Hüften und betrachtete zufrieden die Mahlzeit. »Ich verstehe nicht, wo der Schinken geblieben ist. Wir haben doch mehrere Packungen gekauft.« Sie warf Katrín einen Blick zu. »Trotzdem ein super Essen, findest du nicht?« Sie reckte sich nach einer Packung Schnittkäse und legte sie neben das Brot.
Katrín nickte. »Phantastisch«, sagte sie lächelnd. »Wir sollten überlegen, ob wir nicht auch noch ein Restaurant eröffnen wollen.«
Garðar humpelte herein und sagte: »Mein Fuß tut total weh. Diese Schuhe sind echt scheiße. Kein Wunder, dass sie im Ausverkauf waren.«
»Solche Schuhe muss man einlaufen, bevor man einen Berg besteigt, du Dummkopf«, entgegnete Líf kopfschüttelnd. »Das weiß ja sogar ich.« Sie gab Putti ein kleines Stück Leberwurst. Der Hund nahm die Wurst ins Maul und brachte sie eine Ecke, wo er sich hinlegte und sie auffraß.
»Danke, dass du mir das jetzt erst sagst.« Garðar setzte sich vorsichtig auf einen wackeligen Stuhl, während die Frauen gespannt beobachteten, ob er halten würde. Sie lächelten sich zu, als er nicht zusammenbrach.
Auf der Herdplatte des altmodischen Kaminofens stand ein alter Kessel. »Ob man darin Engelwurz verbrennen kann?«, fragte Katrín und öffnete die Kammer unter der Herdplatte. Sie starrte in das schwarze Loch, das nach Asche roch. »Ich hätte Lust auf einen Kaffee, aber wahrscheinlich sollten wir unser Holz nicht dafür verschwenden.«
»Ich weiß nicht, vielleicht, wenn man die Stängel zusammenpresst.« Garðar streckte seine nackten Füße aus und bewegte die Zehen. »Vielleicht verbrennen sie zu schnell, um das Wasser zum Kochen zu bringen, aber wir können es ja mal probieren.« Er schmierte sich eine Scheibe Brot. »Aber ich ziehe auf keinen Fall noch mal diese Schuhe an, um Zweige zu sammeln. Nicht jetzt.« Er starrte auf den Fußboden an der Wand ganz hinten in der Küche. »Wie sieht denn der Boden da aus?«
Die Frauen schauten zu der Stelle, und Líf zuckte mit den Schultern. »Ist doch nur ein Fleck, das ist ein altes Haus.« Ein großer, unregelmäßiger Fleck zog sich über den Holzboden an der Wand entlang.
»Aber der Boden ist neu. Der Vorbesitzer hat ihn gelegt, weil der alte Boden in einem so schlechten Zustand gewesen sein muss, dass er nicht mehr zu retten war. Aber er ist nicht ganz fertig geworden.« Garðar runzelte die Stirn. »Noch eine Sache, die wir machen müssen.«
Katrín wandte ihren Blick von dem Fleck ab. Momentan interessierte sie sich nicht für weitere Renovierungsarbeiten. »Ich gehe. Ich will lieber einen Kaffee als was zu essen.« Sie zog ihre dicke Strickjacke fester zu und nahm den Kessel. »Hier wächst überall Engelwurz, ich bin gleich wieder zurück.« In dem Bottich, den sie gestern Abend gefüllt und gemeinsam
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