Geisterfjord. Island-Thriller
Schlepperei.« Sie lehnte sich an ihn, schlang die Arme um seine Hüften und ließ ihr Gewicht auf ihm ruhen. »Vielleicht musst du mich tragen. Ich bin noch müder als heute Morgen.«
»Heute jedenfalls nicht mehr. Du bist nicht die Einzige, die Muskelkater hat.« Geistesabwesend gab er ihr einen Kuss auf den Scheitel und streckte sich. »Ich sterbe vor Hunger. Sollen wir mal nachsehen, was Líf Leckeres auftischt?«
Der Gedanke an die Konserven, das Brot und die anderen Sachen, die sie für die Fahrt gekauft hatten, steigerte nicht gerade ihren Appetit. »Ich hab totale Lust auf Pizza.«
Garðar lächelte zögernd. »Ist nicht im Angebot.« Er löste sich aus ihrem Griff und machte Anstalten, ins Haus zu gehen. »Ich hab jedenfalls keine Lust, noch mal auf den Berg zu steigen, um eine zu bestellen. Komm, lass uns das Brot essen, solange es noch frisch ist. Ich will gar nicht an unsere letzten Tage hier denken, wenn wir dreimal am Tag Nudelsuppe kriegen.«
Durchs Küchenfenster sahen sie Líf herumhantieren und mit sich selbst oder mit dem Hund reden. Katrín fragte sich, ob sie sich genau aus diesem Grund ein Haustier angeschafft hatte: Nach Einars Tod hatte sie natürlich niemanden mehr, mit dem sie reden konnte. Katrín schob ihre Hand in Garðars und klemmte ihre Finger zwischen seine großen, kräftigen Finger. Auch wenn sie jetzt seit fünf Jahren zusammen waren, fragte sie sich manchmal immer noch, wie es dazu hatte kommen können. Obwohl sie die halbe Grundschul- und die gesamte Gymnasialzeit über Schulkameraden gewesen waren, hatte er sich nie für sie interessiert, und sie hatte sich damit begnügen müssen, ihn aus der Ferne anzuhimmeln und von ihm zu träumen. Zu seiner Clique hatte sie keinen Zugang gehabt – die Gutaussehenden, Cleveren auf dem Karrieretrip wollten mit einer jungen Frau, die weder eine Schönheitskönigin noch besonders intelligent war, nicht viel zu tun haben. Das war Garðars, Lífs und Einars Welt, denen das Leben leichtfiel. Und obwohl Katrín ganz normal aussah, mit ihrem Gewicht zu kämpfen hatte und sich im Studium anstrengen musste, war Garðar ihr, zwei Jahre nachdem sich ihre Wege getrennt hatten, zufällig in einer Disco in der Stadt in die Arme gelaufen, und von da an hatte es kein Zurück mehr gegeben. Am selben Abend waren Líf und Einar zusammengekommen, und wegen dieser Parallele bekam Katrín immer eine Gänsehaut bei dem Gedanken, dass Einar jetzt tot und Líf Witwe war. Sie musste sich immer wieder daran erinnern, dass ihr nicht dasselbe Schicksal bevorstand, nur weil ihre Beziehung am selben Abend begonnen hatte.
Garðar löste seine Hand aus ihrer und setzte sich auf die Terrasse. Während er seine Schuhe auszog – er meinte, sie seien ihm schon an den Füßen festgewachsen –, ging Katrín zu Líf ins Haus. Sie fand sie in der Küche, wo sie das Essen aufbewahrten, obwohl es keinen Kühlschrank und kein fließendes Wasser gab. Es gab zwar ein Spülbecken, das Garðars Meinung nach mit Wasser aus dem Fluss betrieben wurde, aber keiner von ihnen hatte eine Ahnung, wie man es anschließen konnte. Líf drehte Katrín den Rücken zu, während sie auf einem verbeulten Schneidebrett, das sie in einer Schublade gefunden hatte, Brot schnitt. Das Brett klapperte bei jeder Bewegung des Messers auf der Tischplatte. Katrín stellte sich in die Türöffnung und musste ihre Stimme erheben, um den Lärm zu übertönen. »Wie war’s?«
Diesmal zuckte Líf vor Schreck zusammen. Sie stieß einen kleinen Schrei aus und richtete sich abrupt auf, während das Brett auf der Tischplatte wippte. Dann drehte sie sich um, die Hand mit dem Messer vor Schreck flach auf die Brust gepresst. »Um Himmels willen!«
Katrín tat es leid, nicht vorsichtiger gewesen zu sein. Ihre ganze Wut auf Líf, weil sie sich vor der Arbeit gedrückt hatte, verflog im Handumdrehen. »O Gott, entschuldige, ich dachte, du hättest mich bemerkt.«
Líf schnappte nach Luft und sagte dann lächelnd: »Ist nicht deine Schuld.« Sie ließ das Messer fallen und atmete aus. »Ich bin total schreckhaft, seit Einar tot ist. Erst konnte ich nicht allein sein, und jetzt kann ich nicht mit anderen zusammen sein.« Sie lächelte wieder. »Echt ätzend.«
»Kann ich mir vorstellen.« Katrín hatte keine Ahnung, wie sie reagieren sollte. Líf war viel offener als sie und hatte mehrmals versucht, mit ihr über Einars Tod zu reden, aber Katrín hatte jedes Mal einen Rückzieher gemacht, aus Angst, zu herzlos,
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