Geisterhauch (German Edition)
dann den Rücken und sah Angel an. »Bist du auch die ganze Nacht hier gewesen, Schatz?«
»Na klar«, sagte er. »Dieser Kerl da drüben hat dich die ganze Zeit angeglotzt.«
»Wer? Dieser Mann da?«, fragte ich und zeigte auf jemanden gegenüber. »Ich glaube, der schläft mit offenen Augen.«
»Oh. So ein Quatsch.«
»Ja. Was gibt’s denn?«, fragte ich Ubie.
»Wir fahren nach Ruiz. Wir haben die Erlaubnis, den Leichnam eines Mr Saul Romero zu exhumieren.«
»Oh, gut. Wer ist Saul Romero?«
»Der Kerl, unter dem Hana Insinga begraben wurde.«
»Ach ja. Wusste ich mal.«
»Und? Willst du mit?«
Ich zuckte müde die Achseln. »Denke schon. Ich darf sowieso nicht zu Reyes.«
»Warum bist du dann die ganze Nacht geblieben?«
»Ständig musst du fragen. Ich brauche eine Dusche.«
»Komm, ich nehme dich mit. Wir müssen sowieso noch Cookie abholen und uns da oben mit dem Sheriff treffen.«
Direkt hinter Mimi und Warren Jacobs bogen wir auf den Friedhof von Ruiz ein. Kyle Kirsch und sein Vater waren schon dort. Ihren rot geränderten Augen nach zu urteilen, hatten sie auch nicht viel geschlafen. Kyles Mutter war in Minnesota verhaftet worden und würde nun nach New Mexico ausgeliefert werden. Und Hy Insinga war auch da, ein Bild des Schmerzes. Ich fühlte mit ihr.
»Das ist es«, sagte Mimi zum Sheriff von Mora County und zeigte auf Mr Romeros Grab. »Das zweite links.«
Zwei Stunden später hob ein Team von Gerichtsmedizinern die sterblichen Überreste Hana Insingas aus dem Erdboden. Der Schmerz ihrer Mutter war kaum mit anzusehen. Gott sei Dank hatte sie eine Freundin bei sich. Ich ging zurück zu Ubies SUV und sah von dort aus zu, wie Hy Insinga auf die zitternde und schluchzende Mimi zuging. Ein wenig besorgt war ich schon, wie dieses Wiedersehen ausgehen würde. Aber sie hielten sich eine ganze Weile in den Armen.
Drei Tage später wurde Reyes Farrow, nachdem er unerklärlicherweise bemerkenswerte Heilungsfortschritte gemacht hatte, in die Obhut der Strafanstalt und der dortigen Ärzte überstellt. Ich fuhr nach Santa Fe, um ihn zu sehen. Mir schlotterten buchstäblich die Knie, während ich in der Besucherreihe stand und darauf wartete, dass ich drankam, um auf Drogenrückstände untersucht zu werden. Stattdessen zog mich ein Wärter auf die Seite und sagte, der stellvertretende Direktor wolle mit mir sprechen.
»Wie geht’s?«, fragte Neil, als mich der Wärter in seinem Büro ablieferte.
Ich gewöhnte mich allmählich an das organisierte Chaos und setzte mich ihm gegenüber. »Gut«, antwortete ich achselzuckend. »Erhole mich gerade ein bisschen von meinem Job.«
»Ist alles in Ordnung?«, fragte er alarmiert.
»Oh, ja. Es liegt gerade nichts Dringendes an. Also, was gibt’s? Darf ich ihn besuchen, oder ist er noch auf der Krankenstation?«
Neil senkte den Blick, ehe er antwortete. »Ich wollte dir das persönlich sagen, damit du es nicht am Besucherschalter erfährst.«
Mein Herz machte einen Satz. »Ist was passiert? Geht es Reyes schlechter?«
»Es geht ihm gut, Charley, aber … er will dich nicht sehen.« Er legte bedauernd den Kopf schräg. »Dein Besuchsantrag wurde abgelehnt.«
Eine volle Minute lang saß ich fassungslos da und versuchte, die Bedeutung seiner Worte aufzunehmen. Immer enger legte sich ein Schraubstock um meine Brust. Mein Blickfeld verdunkelte sich. Ich bekam kaum Luft. Ich wollte weg. »Na, dann gehe ich mal.« Ich stand auf und ging zur Tür.
Neil kam um den Schreibtisch herum und griff nach meinem Arm. »Charley, er wird seine Meinung ändern. Er ist bloß wütend.«
Ich lächelte ihn an. »Ist schon gut, Neil. Pass … einfach gut auf ihn auf, ja?«
»Das werde ich.«
Äußerlich lächelnd verließ ich das Gefängnis und fuhr nach Hause. Den niederschmetternden Kummer drängte ich mit aller Kraft zurück. Trotzdem quollen die Tränen zwischen meinen Wimpern hervor. Es war jämmerlich. Unterwegs dachte ich über meine Zukunft nach. Wie würde das Leben ohne Reyes Farrow sein? Er konnte seinen Körper nicht mehr verlassen. Er konnte nicht mehr zu mir kommen, mit mir reden, mich anfassen, mir den Arsch retten. Nachdem ich ihn mein Leben lang praktisch ständig hinter mir gehabt hatte, war ich von nun an allein.
Als ich auf den Parkplatz vor meinem Haus einbog, wurde mir auf die erbärmlichste, demütigendste Weise klar, dass ich jetzt zu den Hunderten Frauen gehörte, die vergeblich versuchten, zu ihm vorgelassen zu werden. Ich war eine zweite Elaine
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