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Geisterjagd

Geisterjagd

Titel: Geisterjagd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Clayton
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übermitteln sollte. „Ich fürchte, ich habe angenommen, Sie würden die Insel-Manager kennenlernen wollen, und deshalb habe ich einen kleinen Empfang arrangiert. Dies wird nicht lange dauern, versichere ich Ihnen.” Sie winkte einem Mann, der in einiger Entfernung wartete. „Sie werden Yagro f´Voine bereits von den Bändern her kennen. Unser Sicherheits-Chef.”
    Yagro f ´Voine. Ein recht kleiner Mann, einen Kopf kleiner als die Direktorin. Ein rundes, sanftes Gesicht und blaue, ebenfalls runde Augen, lange, glatte, blonde Haare, die er im Genick mit einem schmalen, schwarzen Band zu einem kleinen, steifen Bogen zusammengeknotet trug. Er war mit einer schwarzen Samtjacke mit breiten, lockeren Manschetten, einem weißen Hemd mit Spitzenbesatz an Kehle und Handgelenken, hellblauen Samthosen, kniehoch aufgekrempelt, und engsitzenden Stiefeln bekleidet. Ein Saphir leuchtete im Spitzensaum, ein weiterer baumelte an seinem Ohr, ein langer, schmaler Tropfen, der blaues Feuer versprühte, sooft f Voine den Kopf bewegte. An einem breiten Schwarzleder-Gürtel hing ein schlankes Rapier, der Griff aus Filigran-Silber, mit weiteren Saphiren besetzt. Tamris’ Augen weiteten sich; sie hatte den Ohrring und die langen Haare auf den Bändern gesehen, aber der Gesamteindruck dieses Mannes war doch ziemlich überwältigend. Und ein Schwert, dachte sie, ein verdammtes dummes Schwert. Er nimmt an den Spielen teil. Dann begegnete sie dem Blick seiner leeren, blauen Augen, und schlagartig war ihr nicht mehr nach Lächeln zumute.
    Sie rückte einen Schritt näher zu Aleytys hinüber, unvermittelt froh, daß sie diejenige war, die es mit diesen beiden zu tun und aufzunehmen hatte. Gedankenabwesend zupfte sie an ihrer Bluse, merkte, was sie tat, und preßte die Lippen energisch aufeinander. Ich bin kein Baby mehr, dachte sie. Ich habe den Treck in die Wildlande gemacht und den dritten Steinhaufen erreicht, und ich bin wieder zurückgekommen. Sie blickte Intaril und f ´Voine an. Bestimmt gibt es schlimmere Dinge als Silberpelze und Stille und Kälte.
    Ein wesentlich größerer Mann stand abwartend in der Münzenschlitz-Tür. Als sie dort ankamen, trat er beiseite und nahm neben f Voines Ellenbogen Haltung an. Tamris fragte sich, ob er mehr des Kontrastes wegen oder aufgrund irgendwelcher Fähigkeiten für diesen Empfang ausgewählt worden war - wenn das prächtige Kostüm ein genauer Verweis auf f´Voines Geschmack war, dann traf wohl ersteres zu. Ein steingesichtiger Riese mit kahlrasiertem Kopf, trotz oder gerade wegen der Rasur ein attraktiver Kopf, durchdringend blickenden gelben Augen, einer Haut wie Holzkohle, mit dickem, rotgelbbraunem Sirup überzogen. Er trug kein Spielzeugschwert weder in den Händen noch an der ausgefallenen Kleidung. Er war in eine schäbige Bordkombina-tipn gehüllt, deren einzige Konzession an die Individualität eine Vielzahl von Taschen war, von denen einige aufgewölbt waren - Tamris machte sich nicht die Mühe, darüber zu spekulieren, was er darin bewahrte. Die beiden Shenli-Pfeilwerfer zeigten dasselbe abgenutzte, jedoch gepflegte Aussehen wie alles, was er trug. Er wurde nicht vorgestellt, auch die vierte Person nicht, ein Mädchen, das die Schwester der Fähren-Pilotin hätte sein können: Beiden war ihnen eine anonyme Schönheit gemeinsam und die gleiche unpersönliche Höflichkeit, obgleich diese Version des Standardmodells ein oder zwei Jahre jünger zu sein schien. Tamris war plötzlich sehr mit ihrer kurzen Nase, ihrem rundlichen Gesicht und dem Sommersprossengesprenkel zufrieden; ihr Gesicht gehörte ihr allein, sie brauchte es nicht mit tausend oder zehntausend anderen zu teilen.
    Tamris schlug das kleine Spiralnotizbuch auf, strich die Seiten flach, nahm daraufhin ihren Füller auf und saß da und klopfte mit dem stumpfen Ende auf das leere Papier. Sie kräuselte die Nase, schürzte die Lippen und begann zu schreiben.

NOTIZBUCH
    Cazarit-Zentral - zugewiesenes Quartier (zwei Schlafzimmer, ein Badezimmer, eine winzige Küche, ein kleiner, ein größerer Aufenthaltsraum zum Umhergehen, Reden, Trinken). Ortszeit: 18.00 Uhr (bei einem 24-Stunden-Tag) plus 35 Minuten, etwa eine Stunde nach Sonnenuntergang - der erste Tag auf dieser Welt.
    Die Geisterjagd - Notizen, Eindrücke, Ereignisse.
    Aleytys hat mich gebeten, dieses Notizbuch zu führen, nicht zum offiziellen Vorzeigen, sondern zu meiner Hilfe - um meine Gedanken zu ordnen und als Basis für meine Zeugenaussage vor dem Treuhandkomitee.

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