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Geisterschiff Vallona

Titel: Geisterschiff Vallona Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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und obwohl die Menschen darauf lachten, kam ihm das Bild traurig vor. Die Gesichter
     waren kaum zu unterscheiden und von den beiden Personen, die ganz rechts standen, war fast gar nichts mehr zu erkennen.
     
    Karl kletterte auf den Stuhl. Als er endlich das Kinn über die Reling strecken konnte, blieb ihm beinahe die Luft weg. Jede
     einzelne Plankenfuge war mit Flachs abgedichtet worden. Und unten vor der Brücke stand ein mit Wasser gefüllter Putzeimer,
     ein winziger Bottich aus Holz. Davor glänzte das Deck, als wäre es nass.
    Daneben stand ein Schrubber – so, als hätte ihn jemand nur kurz abgestellt, um gleich zurückzukehren und das Deck fertig zu
     putzen. Es war deutlich zu erkennen, wie weit dieser jemand schon gekommen war: Die eine Hälfte des Decks war eine Nuance
     dunkler und einen Hauch glänzender als der Rest.
    Karl hätte schwören können, dass er dort in der Sakristei das Rauschen des Meeres hörte.Genau wie die tutenden Leuchttürme und auch wie das Wasser, das der Wind aufpeitschte und in Wellen gegen den Schiffsrumpf
     schlug. Und dann hörte er eine Stimme. Leise, ganz leise war sie zu hören.
    Erst glaubte er, es wäre sein Großvater, der ihn rief. Aber die Stimme war zu   … klein. Sie war nicht leise, weil sie aus der Ferne kam, nein, sie war leise, weil sie – nun, weil sie tatsächlich klein
     war. Und sie kam aus dem Votivschiff. Von der Brücke, aus dem Ruderhaus.
    Karl stellte einen Fuß auf die Armlehne des Schreibtischstuhls, um ein bisschen höher zu kommen. Vorsichtig griff er nach
     der Reling und zog das Schiff auf seiner Seite ein wenig hinunter, sodass er besser sehen konnte.
    Der Eimer rutschte über die Planken auf ihn zu und blieb in einer Fuge hängen. Karl spürte, wie ein Tropfen aus dem Eimer
     seine Hand traf, und ohne nachzudenken, leckte er ihn ab. Salzwasser. Wie konnte Salzwasser in den Eimer eines Modellschiffes
     gelangen, das nie auch nur in der Nähe des Meeres gewesen war?
     
    Großvaters Orgelspiel war nicht mehr zu hören. Stattdessen hörte Karl ganz deutlich Wellen. Peitschende, schäumende Wellen.
     Überall um sichherum, als wäre er selbst ein gigantisches Seeungeheuer, das gerade im Begriff war, ein Schiff zu versenken.
    Karl musste jetzt einfach wissen, ob wirklich etwas im Ruderhaus steckte. Wenn er die Reling nur noch einen einzigen Zentimeter
     weiter herunterzog   … Der Schrubber kullerte über das Deck und Putzwasser lief über die Planken.
    Da entdeckte Karl einen Schatten hinter den kleinen Glasfenstern, die den Steuermann vor Wind und Wetter schützen sollten.
     Der Schatten folgte dem Krängen des Schiffs, als stünde eine kleine Puppe am Ruder. Oder vielleicht eine Maus, schoss es Karl
     durch den Kopf. Aber genau in diesem Moment bewegte sich der Schatten in die falsche Richtung, nach oben, weg von Karl. Kleine,
     bleiche Hände suchten nach Halt – so sah es wenigstens aus.
    Karl rutschte mit dem Fuß ab und das Schiff kippte auf die Seite. Die Figur auf der Brücke wurde erst gegen die hintere Wand
     geschleudert und stieß dann gegen das Fenster, das Karl am nächsten war. Und da sah Karl, dass die Figur ein Gesicht hatte.
     Ein menschliches Gesicht, wenn auch sehr, sehr klein. Angst flackerte in den winzigen Augen. Und der Mund   … der Mund bewegte sich! Karl sah es ganz deutlich. Der Mundbewegte sich und stieß Laute voller Schmerz und Verzweiflung aus.
    Mit einem Schrei fuhr zurück. Der Schreibtischstuhl geriet ins Rollen, Karl stürzte nach hinten und landete mit einem Knall
     rücklings auf dem Boden. Über ihm schwankte das Schiff, als wäre es im Begriff, sich aus seiner Vertäuung zu reißen.
    Wenn es jetzt runterfällt, erschlägt es mich, dachte Karl.
    Aber das, was hinunterfiel, war nicht das Schiff. Vielmehr hing etwas an der Reling, schaukelte ein paar Mal vor und zurück
     und stürzte dann nach unten. Es war die Figur von der Brücke und sie landete unsanft auf Karls Bauch.
     
    Im selben Moment wurde die Tür aufgeschlagen und Doktor Ekwall stürmte mit wütend aufgerissenen Augen in die Sakristei.
    »Was ist hier los?«, brüllte er. »Was treibst du hier? Hier drin hat niemand etwas zu suchen!«
    Er hatte einen hochroten Kopf und Schweißperlen standen ihm auf der Stirn. Karl beeilte sich, wieder auf die Füße zu kommen.
    »D-das war der Stuhl«, versuchte er sich herauszureden,während er schnell die kleine Figur in der Hosentasche verschwinden ließ. »Er ist mir weggerutscht.«
    Doktor Ekwall

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