Geisterschiff Vallona
vortrug, kam ein bisschen
Leben in seine Stimme.
»Tyska Grund, Stavskär, Måsudde und Drakbankar – hier liegen uns leider keine gesicherten Informationen vor«, sagte der Sprecher
verwundert. »Es ist uns nicht gelungen, Funkkontakt mit der Messstation aufzunehmen, wir werden später darauf zurückkommen.«
»Ich muss noch Noten aus der Kirche holen«, sagte Großvater plötzlich. »Wir sollten lieber gleich los, bevor es zu spät ist.«
»Zu spät?«
»Ja, bevor der Graue aufzieht. Schau doch, wie es jetzt schon aussieht. Ist der Graue erst mal da, kann man gar nicht mehr
vor die Tür. Undwomöglich kommt noch ein Unwetter hinterher.«
Karl verstand das nicht. Warum konnte man im Grauen nicht nach draußen?
Großvater sah ihn verwundert an.
»Na ja, für dich ist es eben noch ungewohnt, im Herbst hier zu sein, aber im Nebel geschehen unheimliche Dinge. So war es
schon immer. Die Leute finden nicht nach Hause, verirren sich und verunglücken. Und das passiert schon bei ganz gewöhnlichem
Nebel.«
»Gewöhnlicher Nebel? Wie meinst du das?«
Ganz vorsichtig faltete Großvater die Seekarte zusammen, bevor er ihm eine Antwort gab.
»So ganz genau weiß man es nicht«, sagte Großvater. »Wenn der Graue vom Meer heraufzieht, ist es, als hielte die Stadt den
Atem an. Meist geht es gut und es liegt nur für ein paar Stunden ganz gewöhnlicher Nebel über den Straßen, der einfach wieder
verschwindet. Aber manchmal, schlägt es um. Der Graue bleibt und wird dichter und dichter. Er hält die Stadt im Griff. Und
dann kann alles Mögliche passieren.«
»Erwacht dann auch das Kind des Grauen?«
»Wenn es nur das wäre«, sagte Großvater. »Wenn es nur das wäre …«
Mehr sagte er nicht.
Aber Karl konnte es noch immer nicht verstehen. War es das, was Mama und die anderen Forscher untersuchen wollten? Und was
entschied darüber, welche Art von Nebel kam?
»Wenn ich das wüsste«, seufzte Großvater. »Früher glaubte man, dass jemand etwas Dummes angestellt und damit den Nebel herausgefordert
haben musste. Die Alten im Hafen würden jetzt sicher irgendwelchen Stockholmern die Schuld geben. Aber ich weiß nicht, ich
weiß nicht.«
Nachdenklich ging Karl nach oben in sein Zimmer und holte sich noch einen zusätzlichen Pullover. Was Großvater eben gesagt
hatte, ließ ihn nicht mehr los. Als er wieder hinunterkam, stand Großvater schon in der Tür und wartete auf ihn.
»Vielleicht hat es etwas mit Geheimnissen zu tun«, überlegte Karl laut. »Mit Geheimnissen oder einem schlechten Gewissen?«
Großvater starrte ihn an.
»Wie kommst du darauf? Wer hat das gesagt?«
»Niemand. Ich musste nur an diese Spukgeschichte denken. Die von dem Reisighaufen … da kommt auch der Nebel, als der Kirchendiener ein schlechtes Gewissen hat.«
Diese Erklärung schien Großvater zwar zu beruhigen, aber er wollte offenbar trotzdem nicht mehr über die Sache reden.
»Ach so«, sagte er. »Der Reisighaufen, ja. Na ja. Das ist doch nur eine alte Geschichte. Können wir los?«
Karl fragte nicht weiter nach, aber trotzdem blieb ihm die ganze Sache ein Rästel. Warum hatten alle solche Angst vor ein
bisschen Nebel? So gefährlich konnte das doch gar nicht sein?
Wie gefährlich es allerdings wirklich werden konnte, das sollte Karl schon bald erfahren.
Kapitel 4
Karl blieb an dem kleinen runden Fenster im Treppenhaus stehen, das zur Orgelempore der Kirche hinaufführte. Er wischte ein
altes Spinnennetz weg und drückte seine Nase gegen die Scheibe.
Draußen war es so dunkel, als wäre es schon tiefe Nacht, dabei war gerade erst Nachmittag.
Er sah, wie der Postmeister Simon Eda drüben auf dem Kirchberg seine Fensterläden zunagelte. Sein Nachbar stand auf einer
Trittleiter und tat es ihm gleich. Und diese beiden waren nicht die Einzigen, die versuchten, sich vor Nebel und Sturm zu
schützen. Durch ganz Krabbsjögrund hallten Hammerschläge. Eilig sammelten die Leute ihre Sachen in den Gärten zusammen, Kaninchenställe
wurden geräumt und Autos in die Garagen gefahren. Offensichtlich machten sich alle in Krabbsjögrund auf das Schlimmste gefasst.
Es war nicht das erste Mal, dass Karl seinen Großvater auf die Empore begleitete. Er hatte schon viele Sonntage während des
Gottesdienstes hier gesessen und zugehört, wie sein Großvater der alten Orgel Leben einhauchte. Fast so, als wäre sie wirklich
lebendig, mit ihren klingenden, blitzenden, heulenden, brausenden Pfeifen.
Karl
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