Gejagte Der Dämmerung -9-
Lucan spürte einen Luftzug und sah auf. Eben trat Gabrielle in den Raum.
Praktisch ohne Vorwarnung legte er Rowan in die Warteschleife, einfach nur, weil er zusehen wollte, wie sich seine atemberaubende Gefährtin bewegte. Sie kam mit einem Teetablett aus der Bibliothek und stellte es leise in der Küche ab. Es war für zwei Personen gedeckt gewesen, für Gabrielle und eine weitere Frau, die vorhin im Hauptquartier angekommen war. Nur eine der eleganten Teetassen war benutzt worden, und nur eines der winzigen Schokoladentörtchen und diversen anderen Leckereien war von ihrem Porzellanteller verschwunden.
Lucan brauchte nicht zu raten, welche der beiden Frauen das gewesen war. Seine Gefährtin mit dem kastanienbraunen Haar hatte immer noch einen Hauch Schokoladenpulver auf ihrem sinnlichen, perfekten Mund. Er leckte sich die Lippen, als er Gabrielle beobachtete, wie immer ausgehungert nach ihr. Wenn diese beunruhigende Angelegenheit nicht wäre – ganz zu schweigen von dem anderen, kleineren Problem, das im Nebenraum auf seine Entscheidung wartete –, hätte Lucan vielleicht alle seine Verpflichtungen abgesagt und sich schleunigst mit seiner Frau ins Bett verzogen.
Der schnelle Blick, den sie ihm zuwarf, besagte, dass sie genau wusste, was ihm eben durch den Kopf ging. Aber es stand ihm vermutlich auch ins Gesicht geschrieben. Mit der Zunge spürte er die scharfen Spitzen seiner Fänge, die sich ausgefahren hatten, und so, wie sich sein Sehvermögen jetzt schärfte, mussten seine Augen eher bernsteingelb als grau sein. Sein Begehren transformierte ihn zu seiner wahren Natur, so wie auch der Durst nach Blut es tat.
Auf Gabrielles Gesicht breitete sich ein Lächeln aus, als sie auf ihn zukam. Ihre großen braunen Augen waren sanft und tief, ihre Finger einladend, als sie die Hand hob und ihm über die angespannte Wange strich. Ihre Berührung beruhigte ihn wie immer, und sein Knurren klang eher wie ein Schnurren, als sie ihm mit den Fingern durch sein dunkles Haar fuhr.
Mit Mathias Rowan in der Warteschleife hielt Lucan das Telefon von sich fort und senkte den Kopf zu Gabrielle. Er streifte ihren Mund und leckte ihr sachte das Kakaopulver von den Lippen.
»Lecker«, flüsterte er und sah, wie der Hunger in seinen Augen sich in den unergründlichen Tiefen ihrer Augen spiegelte.
Gabrielle schlang die Arme um ihn, aber sie sah ihn mit einem Stirnrunzeln an. Sie sprach absichtlich leise, formte die Worte unhörbar mit den Lippen. »Alles okay mit Hunter und Chase?«
Er nickte und drückte ihr einen Kuss auf die Stirn. Es fühlte sich nicht gut an, ihre Besorgnis so abzutun. In den anderthalb Jahren, die er mit Gabrielle in einer Blutsverbindung lebte, hatten sie immer alles miteinander geteilt, und in seinem ganzen jahrhundertelangen Leben hatte er noch nie jemandem so vertraut wie ihr.
Sie war seine Gefährtin, seine Partnerin, seine Liebste. Als seine engste und wichtigste Vertraute hatte sie ein Recht darauf zu wissen, was er fühlte, all seine Ängste und Sorgen zu kennen als Leiter dieses Hauptquartiers, das irgendwann begonnen hatte, sich eher wie ein Zuhause anzufühlen als die strategische Kriegszentrale, wo der Orden seine Missionen plante.
Während seine Krieger sich täglich mit ihren persönlichen Dämonen herumschlugen, während der Orden einige Tiefschläge hatte einstecken müssen und einige vernichtende Verluste, aber auch viele wichtige Triumphe zu verzeichnen hatte – während die Belegschaft des Hauptquartiers sich fast verdoppelt hatte in den knapp zwei Jahren, seit einige der Krieger sich verliebt und ihre Gefährtinnen gefunden hatten –, blieb eine beunruhigende Tatsache unverändert.
Es war ihnen noch nicht gelungen, Dragos und seinen Wahnsinn zu stoppen.
Dass Dragos immer noch lebte, immer noch Blutvergießen und Zerstörung von solchen Ausmaßen anrichten konnte – wie letzte Woche die Entführung eines Jungen aus einer mächtigen Stammesfamilie und die anschließende Vernichtung ihres Dunklen Hafens, bei der alle seine Bewohner umgekommen waren –, war eine Schlappe, die Lucan äußerst persönlich nahm.
Das war eine Realität, die ihm schon viel zu naheging.
Aber das wollte er Gabrielle jetzt nicht anvertrauen. Er konnte den Gedanken nicht ertragen, dass sie dieselben Ängste quälten wie ihn. Er hatte immer versucht, seine Last möglichst alleine zu tragen. Bis er nicht alle Antworten hatte, bis seine Pläne nicht fertig waren und praktisch umgesetzt werden konnten, musste
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