Gejagte Der Dämmerung -9-
ausgebeulten grauen Jeans, grünen Chucks und dem gelben Hellboy-T-Shirt. Sein kurzer blonder Schopf war zerzauster als gewöhnlich, als hätte er sich beim Warten auf Neuigkeiten von Hunter und Chase öfters wild das Haar gerauft.
»Diesen mordlustigen Blick habe ich ja lange nicht gesehen«, sagte Gideon, dessen blaue Augen lebhaft über die getönten Gläser seiner randlosen Sonnenbrille linsten. »Ich sehe schon, du hast vor, den beiden den Kopf abzureißen.«
»Dem Geruch nach war ein anderer schneller«, knurrte Lucan, und seine Nase kribbelte vom Geruch von frischem Stammesblut, noch bevor die polierten Stahltüren des Lifts vor den beiden Kriegern auf Abwegen aufglitten.
3
»Bist du sicher, dass du nichts anderes zu essen oder zu trinken möchtest?«
Gabrielle kam wieder in die Bibliothek zurück. Ihre Wangen waren erhitzt, und ihre braunen Augen schienen irgendwie strahlender, seit sie vor wenigen Minuten mit dem Teetablett den Raum verlassen hatte. Mit etwas abwesendem Blick hob Lucan Thornes Stammesgefährtin ihre Fingerspitzen an die Lippen und lächelte leise in sich hinein. Doch einen Augenblick später blinzelte sie den Ausdruck fort, kam herüber und setzte sich wieder auf ihren Platz auf dem Sofa.
»Tut mir leid, dass ich dich habe warten lassen. Lucan und ich mussten noch schnell etwas besprechen«, sagte sie so liebenswürdig und gastfreundlich wie eine alte Freundin, obwohl sie sich erst vor wenigen Stunden kennengelernt hatten. »Ist es dir zu kalt hier? Ach du Arme, du zitterst ja.«
»Ist nicht schlimm.« Corinne Bishop vergrub sich tiefer in ihren blassgrauen Wickelcardigan und schüttelte den Kopf, während ein weiteres Beben sie bis tief in ihre Knochen erschauern ließ. »Mir geht’s gut, wirklich.«
Ihr Unbehagen hatte mit der Temperatur im Hauptquartier des Ordens nichts zu tun. Hier war sie von einem Luxus und einer Wärme umgeben, die sie kaum fassen konnte. Sie hatte das verblüffend weitläufige unterirdische Hauptquartier schon seit ihrer Ankunft bestaunt, und die elegante Bibliothek, wo sie jetzt mit Gabrielle saß, war mit Sicherheit der vornehmste Raum, in dem sie sich seit sehr langer Zeit aufgehalten hatte.
Jahrzehntelang war ihr Zuhause nur wenig besser als eine Gruft gewesen. Mit achtzehn Jahren war Corinne zusammen mit etlichen anderen jungen Frauen von einem Wahnsinnigen namens Dragos entführt und gefangen worden, einfach nur, weil jede einzelne von ihnen eine Stammesgefährtin gewesen war.
Corinne sah auf ihre im Schoß gefalteten Hände hinunter und fuhr müßig mit dem Daumen über das winzige purpurrote Muttermal auf ihrem rechten Handrücken, das jede Stammesgefährtin irgendwo auf ihrem Körper trug. Dieses Mal in Form einer Träne, die in die Wiege einer Mondsichel fiel, machte sie zum Teil einer außergewöhnlichen Welt – der geheimen, ewigen Welt des Stammes. Es hatte sie vor einem Leben in Armut und Vernachlässigung gerettet, nachdem sie nur Stunden nach ihrer Geburt an der Hintertür eines Detroiter Krankenhauses ausgesetzt worden war.
Dieses kleine blutrote Muttermal hatte ihr Zugang zum Leben ihrer Adoptiveltern Victor und Regina Bishop verschafft. Das blutsverbundene Paar, das bereits einen eigenen Sohn hatte, hatte Corinne und ihre jüngere Adoptivschwester Charlotte bei sich in ihrem luxuriösen Dunklen Hafen aufgenommen. Sie hatten den beiden elternlosen Mädchen ein liebevolles Zuhause gegeben und nur das Beste von allem, was das Leben zu bieten hatte.
Wenn sie damals nur erwachsen genug gewesen wäre, um das alles schätzen zu können.
Wenn sie nur die Chance gehabt hätte, ihrer Familie noch einmal zu sagen, dass sie sie liebte … bevor ein Schurke namens Dragos sie aus ihrem Leben herausgerissen und in eine scheinbar unendliche Hölle geworfen hatte, aus der es keinen Ausweg gab.
Und das alles nur wegen dieses kleinen roten Muttermals auf ihrem Handrücken. Wegen ihm hatte sie unendlichen Schmerz und Kummer erlitten. Man hatte sie gefoltert und vergewaltigt, sie gegen ihren Willen am Leben erhalten und gezwungen, unaussprechliche Dinge zu erleiden, an die sie jetzt nach ihrer Befreiung kaum zu denken wagte, geschweige denn jemandem davon zu erzählen. Ihr und etwa zwanzig anderen Gefangenen von Dragos war es gelungen, seine Folterungen und Experimente zu überleben, bis die Ordenskrieger und ihre unglaublich beherzten, einfallsreichen Stammesgefährtinnen ihnen letzte Woche zu Hilfe gekommen waren.
Die letzten paar Tage seit
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