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Geködert

Geködert

Titel: Geködert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Len Deighton
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Schreibtischtäter in London die Leute kennen kann, die die wirklich schmutzige, gefährliche Arbeit machen. Irgendwo in der Nähe von Frankfurt an der Oder, an der polnischen Grenze der DDR. »Polen«, sagte ich. »Oder so hat’s jedenfalls angefangen. Polen, die in irgendeiner Schwerindustrie arbeiten.«
    »Richtig«, sagte Dicky zurückhaltend. Er hatte eine Akte vor sich und überprüfte darin, wie gut mein Gedächtnis funktionierte.
    »Was ist passiert?«
»Sieht übel aus«, sagte Dicky, unschlagbarer Meister in nichtssagenden Antworten auf jede nur erdenkliche Frage, ausgenommen solche nach den gastronomischen Qualitäten teurer Restaurants.
Billingsly, ein kahlköpfiger Jüngling aus dem Datenzentrum, klopfte sich mit der schweren Hornbrille in die Handfläche und sagte: »Es scheint, dass wir mehr als einen von ihnen verloren haben. Das ist immer ein schlechtes Zeichen.«
Diese Erkenntnis war inzwischen also schon bis ins Datenzentrum vorgedrungen. Wenn das kein Fortschritt war. »Ja«, sagte ich, »das ist immer ein schlechtes Zeichen.«
Billingsly sah mich an, als hätte ich ihn geohrfeigt. Sehr viel weniger herzlich entgegnete er: »Wenn Ihnen noch was anderes einfällt, das wir machen könnten …«
»Haben Sie eine Kontaktleine rausgelassen?« fragte ich.
Billingsly schien nicht genau zu wissen, was ich meinte: eine Musterung der Überlebenden. Endlich aber hörte Harry Strang, ein alternder Gorilla von der Operationsabteilung, lange genug auf, sich mit dem Radiergummi seines neuen gelben Bleistifts die Backen zu streicheln, um meine Frage zu beantworten: »Gestern früh.«
»Das war zu früh.«
»Genau das habe ich dem Deputy gesagt«, warf Dicky Cruyer ein und nickte Sir Percy ehrerbietig zu. Dicky sah von Minute zu Minute erschöpfter und kränker aus. In solchen Situationen bekam er für gewöhnlich Krankheiten, die ihn vollkommen arbeitsunfähig machten. Der Gedanke, eine Entscheidung treffen und dazu stehen zu müssen, war es, was ihn infizierte.
»Messe«, sagte Harry Strang.
»Sie treffen sich bei der Messe am Sonntag morgen«, erklärte Dicky Cruyer.
»Sonst keine Kommunikation?« fragte ich.
»Nein«, sagte Strang, »das ist es ja gerade, was die Sache so schwierig macht.«
»Allerdings«, sagte ich. »Was noch?«
Für einen Augenblick herrschte Schweigen. Mit ein bisschen Verfolgungswahn hätte ich mir ohne weiteres einbilden können, dass sie mir was verheimlichen wollten.
»Schnipsel«, sagte Billingsly.
Strang sagte: »Wir haben was von drinnen. In der Gegend von Frankfurt sind zwei Männer in Untersuchungshaft genommen worden.«
»Berlin.«
»Berlin? Nein, Frankfurt«, sagte Billingsly. Billingsly ging mir allmählich auf die Nerven. Im Datenzentrum waren sie alle so. Die bildeten sich ein, wir brauchten ein paar Megabytes unsortierter Information, um auf ihr Niveau zu kommen. »Stellen Sie sich doch nicht so dumm an«, sagte ich. Und zu Strang: »Haben Sie die Information aus Berlin oder aus Frankfurt?«
»Berlin«, sagte Strang. »Normannenstraße.« Das war der große, graue Häuserblock in Berlin-Lichtenberg, von dem aus der Stasi – Staatssicherheitsdienst der DDR – seine Welt einschüchterte und sich in unsere einmischte.
»An einem Wochenende«, sagte ich. »Klingt schlecht. Wenn der Stasi in Frankfurt das über Fernschreiber laufen läßt, dann glaubt er, er hat einen guten Fang gemacht.«
»Die Frage, die wir hier diskutieren«, sagte der Deputy mit jener sanften Höflichkeit von Staatsanwälten, wenn sie einen nervösen Angeklagten zu einem unwiderruflichen Schuldgeständnis führen, »ist, ob wir der Sache nachgehen sollen.« Er sah mich an und neigte den Kopf zur Seite, als könne er mich so besser sehen. Ich erwiderte den Blick. Er war ein ulkiger, rundlicher, kleiner Mann mit glänzendem rosa Gesicht und leuchtenden Augen und flach an den Schädel geklatschtem Haar. Schwarzes Jackett, eine Weste voller alter Füllfederhalter und Bleistifte, Hosen mit Nadelstreifenmuster, Krawatte in den Farben irgendeiner obskuren Publik-School, die Krawattennadel mit Brillantsplittern besetzt. Ein Jurist. Wäre man ihm auf der Straße begegnet, hätte man ihn für einen Winkeladvokaten oder Angestellten der Anwaltskanzlei gehalten. Im wirklichen Leben – das heißt außerhalb dieses Gebäudes – leitete er eine der erfolgreichsten Anwaltskanzleien Londons. Weshalb er an dem undankbaren Geschäft hier festhielt, war mir ein Rätsel. Allerdings konnte er damit rechnen, bald den ganzen

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