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Geködert

Geködert

Titel: Geködert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Len Deighton
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Edwin Woosnam – »ein walisischer Name, obwohl ich nie im Leben in Wales gewesen bin, ob Sie’s glauben oder nicht« –, war übergewichtig, hatte dicke Augenbrauen, dünne Lippen und eine Nase, wie sie für Laienaufführungen von »Julius Caesar« dem Hauptdarsteller angeklebt wird. Mein Plan, ein wenig von dem verlorenen Schlaf nachzuholen, scheiterte an der Freundlichkeit dieses Nachbarn.
    Er war, erzählte er mir, der Seniorpartner einer »Entwicklungsgesellschaft« in Glasgow. Seine Firma baute acht Hotels zu je sechshundert Zimmern in verschiedenen Städten rund um die Welt, und er erzählte mir alles darüber. »Ein Swimmingpool im Freien, das ist wichtig. Die Hotelbesitzer brauchen in der Reklamebroschüre ein Bild, das so aussieht, als sei das Wetter das ganze Jahr über warm genug zum Baden im Freien.« Mit einem amüsierten kleinen Lachen nahm er einen Schluck Champagner. »Oben drauf muss ein Penthouse, unten drunter ein Freizeit-Center, und natürlich jedes Zimmer mit eigenem Bad. Wichtig ist nur, dass das Grundstück billig ist – und groß, wirklich groß –, sobald dann das Hotel gebaut ist, kann man damit rechnen, dass Läden und Wohnanlagen folgen. Und dann steigt automatisch der Wert der ganzen Gegend. Mit einer solchen Investition kann kaum was schiefgehen. Das ist wie Geld auf der Bank. Solange nur die einheimischen Arbeitskräfte billig sind, spielt’s eigentlich keine Rolle, wo Sie Ihr Hotel hinstellen, die Hälfte dieser blöden Touristen weiß doch sowieso nie, in welchem Land sie eigentlich sind.«
    Aber im übrigen war Mr. Woosnam ein angenehmer Reisegefährte mit einem unerschöpflichen Vorrat an Geschichten. »… Die Griechen lassen sich nichts sagen. Ich zeigte diesem Polier – Popopopulis oder so, Sie wissen ja, wie diese Namen sind –, ich zeigte ihm also den Terminplan und sagte, dass demnach der achte Stock längst fertig sein sollte. Und was macht der Mann? Wird wütend. Aber wie! Und so droht er mit den Fäusten, schreit, rennt aus der Tür und fällt acht Stockwerke bis in den Keller. Tot, natürlich. Wir hatten furchtbare Mühe, zu dieser Jahreszeit einen neuen Polier zu kriegen. Einen Monat später wäre alles halb so schlimm gewesen.« Er nahm einen Schluck aus seinem Glas und lachte. »Manche Leute können einfach nicht hören. Sie werden vermutlich auch in Ihrem Geschäft die Erfahrung schon gemacht haben«, sagte Woosnam und fuhr fort, ohne meine Zustimmung abzuwarten. »Lacht doch einer von unseren Architekten auf der Baustelle in Bombay über die aus Bambusrohren zusammengebundenen Baugerüste der Inder! Ich hab’ ihm schon erzählt, wie dumm er aus der Wäsche schauen würde, wenn er ein Stahlgerüst aufbaut und es sich in der Hitze in Null Komma nichts verdreht, wie ein Korkenzieher, und sein schönes Projekt gestorben ist. Diese Knaben kommen direkt von der Hochschule und glauben, sie wissen schon alles. Das ist das Problem heutzutage. Da fällt mir noch eine Geschichte ein …«
    Und so ging es weiter. Er war zwar sehr unterhaltsam, aber bei seiner Leutseligkeit war an Schlaf nicht zu denken.
»Sind Sie viel unterwegs?« fragte er, als ich eben etwas eingenickt war.
»Nein«, sagte ich.
»Ich fliege dauernd in der Weltgeschichte herum. Über den Atlantik zu fliegen ist für Sie natürlich aufregend. Mich langweilt es nur noch.« Er beobachtete, wie ich reagierte.
»Ja.« Ich versuchte, aufgeregt auszusehen.
»Und in welcher Branche sind Sie? Nein, sagen Sie’s nicht. Ich habe einen guten Blick für so was, Berufe raten ist meine Stärke. Versicherung?«
»Chemikalien.« Ich sage das meistens; es ist vage und außerdem habe ich mir über die pharmazeutische Industrie irgendwann mal das eine und andere angelesen für den Fall, dass jemand wirklich näher auf meinen Bluff eingeht.
»Na schön«, sagte er. Einen Irrtum gab er nicht gern zu. »Aber kein Vertreter. Für die Verkaufsbranche sind Sie nicht aufdringlich genug.«
»Nein, nicht im Verkauf«, räumte ich ein.
»Würden Sie bitte auf meine Aktentasche aufpassen, während ich eben mal zur Toilette gehe? Wenn sie erst das Essen bringen, springt plötzlich jeder auf und muss mal. Das ist immer so.«
Die Spielzeugmahlzeit kam und ging. Die sorgfältig modulierte Stimme unseres Kapitäns deklamierte die Namen von fern unter den Wolken verborgen liegenden Orten. Die große Aluminiumröhre dröhnte weiter mit ihrer Last ungewaschener, rotäugiger Reisender, inzwischen vom Alkohol betäubt und von

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