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Geködert

Geködert

Titel: Geködert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Len Deighton
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machen läßt«, sagte ich, aber es war zu spät für solche Angebote.
Durch zusammengebissene Zähne sagte Werner: »Gleich morgen früh gehe ich ins Büro. Ich werde den D.G. finden und ihn zwingen, irgend etwas zu tun. Zwingen werde ich ihn!«
»Das würde ich dir nicht raten, Werner«, sagte ich besorgt. »Nein, Werner, wirklich nicht.« Die Vorstellung, wie der schwarzbärtige Werner am Eingang der Londoner Zentrale Spektakel machen und der gestrenge Feldwebel Gaskell sich bemühen würde, ihn zur Räson zu bringen, und die Fragen, die ich daraufhin unweigerlich zu beantworten hätte – das wollte ich mir gar nicht weiter ausmalen. Ich goß den Rest des Meursault in mein Glas. Der Wein war warm. Werner hatte vergessen, die Flasche wieder in den Kühlschrank zu stellen. Alles in allem, Donnerstag war kein guter Tag.

13
    Ich habe einen leichten Schlaf. Den braucht man in meiner Branche. Aber nicht das tiefe Dröhnen des Motorrads weckte mich – die ganze Nacht rattern welche am Haus vorbei –, sondern das plötzliche Verstummen des Motors. Als das Gartentor ins Schloss fiel, war ich hellwach. Ich hörte Schritte
– Stiefel mit hohen Absätzen auf dem gepflasterten Weg zur Haustür – und war schon aus dem Bett, als die Klingel Gloria weckte.
    »Halb vier!« hörte ich Gloria schläfrig sagen, als ich das Schlafzimmer verließ. Sie schien überrascht. Sie hatte noch viel zu lernen hinsichtlich der Anforderungen, die das Department an seine Mitarbeiter auf dem mittleren Niveau stellte. Ich lief, zwei Stufen auf einmal nehmend, die Treppe hinab, um dem Besucher zu öffnen, ehe er mit seinem Klingeln Doris und die Kinder weckte. Doch ich war noch nicht unten, als dessen Geduld schon erschöpft war, diesmal klingelte er nachdrücklicher und darauf gleich noch mal.
    »Okay, okay, okay!« sagte ich ärgerlich.
»‘tschuldigung, Chef, ich dachte, Sie hätten’s nich’ gehört!« Der Besucher war ein dünner junger Mann, der von oben bis
unten in glänzendes schwarzes Leder gekleidet war wie eine Erscheinung aus einem bösen Traum.
    »Mr. Samson?« Er hielt einen glänzenden schwarzen Helm im Arm und trug eine abgewetzte Ledertasche um den Hals.
»Ja?«
»Können Sie sich irgendwie identifizieren, Sir?« fragte er, ohne zu sagen, wie ich mich ausweisen sollte. Das war zwar vorschriftsmäßig, aber die Boten, die ich gewohnt war, drückten sich meist etwas ungezwungener aus.
Der Mann war offenbar neu. »Reicht das?« fragte ich und brachte hinter der halbgeöffneten Tür die Neun-MillimeterMauser zum Vorschein.
Er grinste. »Ja, das reicht.« Er öffnete die Tasche und entnahm ihr einen der großen braunen Umschläge, deren sich das Department zum Versand schlechter Nachrichten bedient.
»Samson, B.«, sagte ich zu seiner Beruhigung. »Irgendwas Mündliches?«
»Sie sollen den Brief sofort öffnen. Das ist alles.«
»Warum nicht?« sagte ich. »Ich werde jetzt sowieso irgend ’ne Einschlaflektüre brauchen.«
»Gute Nacht, Chef, entschuldigen Sie die Störung.«
»Das nächste Mal klingeln Sie nicht«, sagte ich. »Atmen Sie nur schwer durch den Briefschlitz.«
»Was war das, Liebster?« fragte Gloria, langsam die Treppe herabschreitend, als träte sie in einem Busby-Berkeley-Musical auf. Sie war nicht völlig wach. Mit dem zerzausten Blondhaar und in dem weiten, wuscheligen weißen Bademantel von Descamps, den ich ihr zu Weihnachten geschenkt hatte, sah sie wunderbar aus.
»Ein Bote.« Ich riss den großen braunen Umschlag auf. Er enthielt ein Ticket für einen Flug nach Los Angeles International ab London Heathrow um neun Uhr früh, in weniger als sechs Stunden – sowie ein Briefchen, auf amtliches Papier getippt und mit den üblichen Gummistempeln beglaubigt:
    Lieber Bernard,
Du wirst bei Ankunft abgeholt. Entschuldige die Hetze, aber das Büro in Washington arbeitet fünf Stunden länger als das hiesige, und irgend jemand dort hat mit dem Deputy ausgemacht, dass diesen Auftrag Du und kein anderer kriegen sollst – mit Bedauern also,
Dein Harry (N.D.O.A.)
    Ich erkannte die krakelige Handschrift. Der arme alte Harry Strang musste also immer noch Nachtdienst in der Operationsabteilung machen. Ich nehme an, dass er auch sich selbst bedauerte, denn er hatte ein Postskriptum unter die Maschinenschrift gekritzelt: »Den Seinen gibt’s der Herr im Schlaf.« Ich nehme an, dass für jemanden, der die ganze Nacht im Büro Wache schieben und sich den Regen draußen anhören musste, die Vorstellung einer plötzlichen

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