Geködert
weder im Büro war noch zu Hause in der prächtigen Grunewald-Villa, die er sich als Leiter des Berliner Büros meinte leisten zu müssen, fand ich ihn mit Sicherheit in irgendeinem feuchten Schützenloch im Manövergelände inmitten von mit Erde beschmierten Infanteristen, denen er glücklich strahlend erzählte, wie man einen Krieg gewinnt.
Diesmal wurde er in geborgten Militärklamotten, schmutzverkrustet an Knien und Ellbogen, von einem großen Befehlswagen in die Grunewald-Villa zurückgebracht.
»Tut mir furchtbar leid, Frank«, sagte ich.
»Ach, ich habe nur ein bisschen Soldat gespielt«, erwiderte er auf seine entwaffnende Art. »Und Dicky sagte ja, die Sache sei dringend.«
Er sah aus, als wollte er mich auf der Stelle in sein Arbeitszimmer führen. »So dringend, dass du dich nicht erst umziehen und ’ne Dusche nehmen kannst, ist es nun auch wieder nicht«, sagte ich. Ich gab ihm den Bericht aus London.
Er nahm ihn und schwenkte ihn vorm Ohr, als erwartete er, das Geschwätz hören zu können. Er grinste. Wir kannten Dicky schließlich. »Geh ins Wohnzimmer, und nimm dir was zu
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trinken, Bernard«, sagte er. »Ruf Tarrant, wenn du nicht findest, was du willst. Ich hoffe doch, du bleibst zum Essen?«
»Gerne, Frank«, sagte ich.
Nach diesem Tag bei den Soldaten sprudelte er schier über vor Freude. Auf halbem Weg die Treppe hinauf drehte er sich um und rief mir zu: »Willkommen zu Hause, Bernard.« Er wusste, dass diese Begrüßung mich freute. Nirgends fühlte ich mich so zu Hause wie in Berlin. Vor langer Zeit war mein Vater hier Resident gewesen – noch vor der Zeit der Herrschaftshäuser und üppigen Aufwandsentschädigungen –, und Berlin war der Ort meiner glücklichen
Kindheitserinnerungen.
Als Frank nach etwas mehr als einer halben Stunde wiederkam, war er für seine Begriffe salopp gekleidet. Er trug ein altes Tweedjackett mit Fischgrätenmuster und eine Flanellhose, dazu aber ein gestärktes Hemd und eine gestreifte Krawatte, mit denen er in jeder Offiziersmesse hätte erscheinen können. Während an mir ganz neue Sachen sofort irgendwie schäbig aussahen, hatte Frank Harrington das Talent, noch in den ältesten Klamotten eine tadellose Erscheinung abzugeben.
Die Manschetten ragten genau richtig bemessen aus den Jackettärmeln, ein Kavalierstaschentuch steckte perfekt gefaltet in der Brusttasche, und natürlich waren die handgenähten Oxfords poliert, dass man sich in ihnen spiegeln konnte. Er ging hinüber zu dem Servierwagen, auf dem die Flaschen standen, und machte sich einen großen Plymouth-Gin mit einem Spritzer Bitter. »Was trinkst du?« fragte er.
»Danke, ich habe noch, Frank«, antwortete ich.
»Willst du nicht lieber was Richtiges trinken?«
»Ich versuche, mich bei den harten Sachen ein bisschen zurückzuhalten, Frank«, sagte ich.
»Die Flasche muss schon seit Jahren auf dem Wagen stehen.
Ist das Zeug überhaupt noch genießbar?« Er nahm die Flasche, aus der ich mich bedient hatte, studierte interessiert das Etikett
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und sah mich fragend an. »Wermut? Das passt gar nicht zu dir, Bernard.«
»Schmeckt mir aber«, sagte ich.
Er setzte sich mir gegenüber. Sein Gesicht hatte die Kriegsbemalung, die man in dieser Jahreszeit bei leidenschaftlichen Skiläufern häufig sieht: die Haut dunkel gebräunt, außer in der unmittelbaren Umgebung der Augen, die die Skibrille bedeckt hatte. Frank verstand es, das Leben zu genießen. Nach seiner Frau fragte ich nicht. Sie hielt sich in letzter Zeit meist in dem Haus auf, das sie in England besaßen.
Sie hatte Berlin nie gemocht, und wie man hörte, hatte es Krach zwischen den beiden gegeben, als Frank die Einladung annahm, über sein Pensionsalter hinaus auf dem Posten zu bleiben.
Er habe den Bericht in der Badewanne gelesen, erzählte er mir. Wir wussten, dass der Bericht in London in aller Eile zusammengeflickt worden war, und auch, dass trotz der Länge nichts drinstand. Er blätterte ihn noch einmal schnell durch und sagte dann: »Will Dicky, dass ich jemanden drauf ansetze?«
»Er gibt sich die größte Mühe, es nicht zu sagen«, entgegnete ich.
»Ich bin bereit, alles zu tun für die armen Kerle, die da in der Tinte stecken«, sagte er. »Aber hier sind wir in Berlin. Ich weiß von niemandem hier, der in dieses Scheiß-Frankfurt an der Oder gehen und denen irgendwie helfen könnte.«
»Es ärgert sie, dass sie in London herumsitzen und nichts tun können«, sagte ich.
»Meinen sie denn, dass mir das
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