Geliebt
entzückend. Man fühlte sich in die Anfangsjahre des neunzehnten Jahrhunderts zurückversetzt. Das Städtchen wirkte wie ein stilles Kunstwerk.
Das Einzige, was diese Illusion zerstörte, waren die modernen Geschäfte. Caitlin nahm an, dass im Sommer bestimmt alle Läden geöffnet waren und sich jede Menge wohlhabende Käufer darin drängten. Wahrscheinlich könnte sie es sich normalerweise gar nicht leisten, hier einzukaufen. Sie hatte wirklich Glück, jetzt mit Caleb hier zu sein, noch dazu an einem so wunderschönen Tag!
Verzückt schloss sie die Augen und atmete die Frühlingsluft ein. Beinahe konnte sie sich vorstellen, mit Caleb irgendwann in einem vergangenen Jahrhundert hier gelebt zu haben. Wie schön wäre es, sich hier niederzulassen und ein ganz normales Leben zu führen. Aber sie wusste, dass das nicht möglich war.
»Sollen wir das Vincent House suchen?«, fragte sie schließlich.
»Ja, später«, entgegnete er. »Erst mal kleiden wir dich neu ein.«
Caleb führte sie in das einzige Geschäft, das geöffnet hatte: Lily Pulitzer.
Die Glocke über der alten Tür bimmelte, als sie eintraten, und die Verkäuferin freute sich ganz offensichtlich, endlich Kunden zu haben. Schnell legte sie ihre Zeitung zur Seite, eilte herbei und begrüßte sie ausgesprochen liebenswürdig.
Bevor Caitlin herumstöberte, reichte sie Rose an Caleb weiter. Die Verkäuferin war entzückt.
»Was für ein süßer Welpe!«, staunte sie mit großen Augen. »Ist das ein Husky?«
Amüsiert lächelte Caleb ihr zu. »So etwas in der Art«, antwortete er.
Zehn Minuten später verließen sie das Geschäft. Caitlin war von Kopf bis Fuß neu eingekleidet und fühlte sich wie ein neuer Mensch. Als sie an sich hinuntersah, musste sie fast laut lachen. Die Kleidung war absolut untypisch für sie. Jetzt war sie von einem Extrem ins andere gefallen: von der Heilsarmeekleidung hin zu einem Traum in Pastelltönen. Sie war herausgeputzt mit einer lindgrünen Jeans, einem rosa T-Shirt, einem blasslila Kaschmirpulli und einem lindgrünen Mantel. Nicht, dass sie es sich groß hätte aussuchen können – nur dieses eine Geschäft war geöffnet, und in ihrer Größe war sonst nichts mehr da gewesen. Aber der Mantel passte ihr gut und besaß eine Innentasche, die gerade eben groß genug für ihr Tagebuch war. Zu dem Outfit hatten sie Ballerinas erstanden, die mit goldenen Pailletten besetzt waren. Jetzt sah Caitlin aus, als wäre sie einem Lily-Pulitzer-Katalog entstiegen.
Nun ja, wenn sie schon mitten in einen Vampirkrieg geraten würde, wäre sie zumindest modisch gekleidet. Und wahrscheinlich wäre sie der einzige Vampir, der nicht schwarz gekleidet war.
Lächelnd dachte sie an den überraschten Gesichtsausdruck der Verkäuferin, als sie sie gebeten hatte, ihre alten Klamotten einfach zu entsorgen. Bestimmt kam so etwas nicht jeden Tag vor.
Irgendwie gefiel sie sich. Zwar war es nicht die Kleidung, die sie ausgewählt hätte, um diese Reise mit Caleb zu unternehmen. Dafür hätte sie schwarze Kleidung vorgezogen, vielleicht eine Lederjacke mit hohem Kragen im Gothic-Stil. Aber es war trotzdem in Ordnung. Ihre Kleidung war neu, und dafür war sie dankbar.
»Vielen Dank, Caleb«, sagte sie, als sie das Geschäft verließen. Das meinte sie absolut ernst. Noch nie in ihrem Leben hatte ein Mann ihr Kleider gekauft, und schon gar nicht so hübsche. Er hatte keine Ahnung, wie dankbar sie ihm war und wie gut es sich anfühlte, dass jemand sich so um sie kümmerte und sorgte.
Während sie die Straße entlangschlenderten, nahm er lächelnd ihre Hand. Ihr war ein wenig warm in ihrem neuen Outfit, aber bei den milden Temperaturen war das ja auch nicht verwunderlich. Lieber ein bisschen zu warm als zu kalt.
Sie hatten die Verkäuferin nach dem Vincent House gefragt und waren freudig überrascht gewesen, dass die Frau nicht nur wusste, wo es sich befand, sondern dass ihr nächstes Ziel sogar nur eine Straße entfernt war.
Zum ersten Mal hatten sie es nicht eilig, als sie in die angewiesene Richtung spazierten. Ausnahmsweise ließen sie sich Zeit – sie hatten beide das Gefühl, dass die Dinge sich ohnehin wieder zuspitzen würden, sobald sie das Haus erreichen und den nächsten Hinweis finden würden. Außerdem waren sie so müde, dass sie gar keine Lust hatten, sich zu beeilen. Einerseits waren sie natürlich neugierig auf den nächsten Hinweis, andererseits war ihnen jedoch bewusst, dass sich ihr Leben dadurch bald schon unwiderruflich
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