Geliebte Betrügerin
Sie erhob sich und sagte: »Lassen Sie uns am Kamin weiterreden. Da ist es gemütlicher.« Sie ging zur Sitzgruppe am Feuer, wies auf einen der Stühle und wartete, bis die junge Miss Murray sich wieder gefasst hatte. »Sie brauchen für die Ausbildung nichts zu bezahlen. Und Sie werden für die Dauer der Schulung hier unter unserem Dach wohnen.«
Miss Murray runzelte argwöhnisch die Stirn. »Warum sollten Sie so freundlich sein, ohne dafür entlohnt zu werden? Ich komme vielleicht vom Land, aber dumm bin ich nicht. Und ich bin ein anständiges Mädchen.«
»Ich bin froh, das zu hören«, sagte Hannah ruhig. »Aber wir erwarten durchaus eine Vergütung. Wir verschaffen Ihnen eine Anstellung und erhalten von Ihrem Arbeitgeber eine Gebühr für die Vermittlung einer kundigen, fähigen Gouvernante als Entgelt für Ihre Kost, Logis und Ausbildung.«
»Oh.« Miss Murray lehnte sich zurück. »Das … das scheint mir vernünftig zu sein.«
»Ganz recht. Während der ersten Woche Ihrer Ausbildung nehmen wir uns die Zeit, Sie kennen zu lernen und herauszufinden, ob Sie eine jener hochkarätigen Kräfte sind, die wir hervorbringen möchten, während Sie sich entscheiden können, ob eine Karriere als Gouvernante für Sie in Frage kommt.«
Miss Murray schniefte in ihr Taschentuch. »Ich habe gar keine andere Wahl.«
»Man hat immer eine Wahl.« Hannah gehörte nicht zu denen, die Selbstmitleid unterstützten. »Wir vertreten Frauen mit den unterschiedlichsten Befähigungen. Der einen fällt es leicht, Kleinkinder zu unterrichten; der anderen ist es lieber, jugendlichen den letzten Schliff zu geben; die Nächste ist als Gesellschafterin älterer Herrschaften überragend.«
Miss Murrays Miene hellte sich auf. »Das hatte ich ja ganz vergessen. Ich habe für meine Großmutter gesorgt, was mir viel Freude gemacht hat.«
Hannah nickte. »Sehen Sie. Schon haben wir eine Richtung für Sie ausgemacht. Wir stellen Gesellschafterinnen zur Verfügung, tägliche oder wöchentliche Lektionen auf dem Pianoforte, Handarbeitsunterricht und Tanzstunden. Die Vornehme Akademie der Gouvernanten darf sich rühmen, für jedes Bedürfnis die passende Lehrkraft zu finden.«
Es klopfte an der Vordertür – was immer noch selten vorkam und Hannah aufspringen ließ. Natürlich würde der Butler öffnen, doch er war instruiert, jeden Besucher umgehend zu ihr zu bringen.
Hannah sagte: »Unsere Haushälterin, Mrs. Knatchbull, erwartet Sie oben an der Treppe und wird Ihnen Ihr Schlafzimmer zeigen, wo Sie Ihre Sachen auspacken dürfen, und morgen lernen Sie zusammen mit unseren beiden anderen Anwärterinnen, wie Sie zu jenem Muster einer Gouvernante werden, dessen unsere Akademie sich rühmen darf.«
Miss Murray wusste, wann es an der Zeit war zu gehen. Sie knickste, griff nach ihrer Reisetasche und ging zur Tür. Sie war ein höfliches, gut erzogenes Mädchen, wenn auch unsicher. Doch mit etwas Übung würde sie ein Gewinn für die Akademie werden.
Sie lächelte zaghaft und wich zur Seite aus, um Cusheon, den Butler, vorbeizulassen. Dann blieb sie stehen und gaffte mit offenem Mund den Gentleman an, der ihm ins Arbeitszimmer gefolgt kam.
Tatsächlich war Miss Murrays Reaktion ein Glücksfall, denn ohne Vorwarnung hätte es ihr selbst wie Hannah fand, die Sprache verschlagen. Der nach der letzten Mode gekleidete Herr sah auf eine unglaubliche, laszive, hinreißende Art gut aus. Hoch gewachsen und langbeinig, trug er einen dunkelblauen Anzug, der seine breiten Schultern wirkungsvoll zur Geltung brachte. Sein Spazierstock hatte einen goldenen Knauf, die ledernen Handschuhe waren passend zum Anzug eingefärbt. Das schwarze Haar, das fast bis auf den Kragen reichte, hing ihm groß gelockt und elegant zerzaust über das halbe Gesicht. Irgendwann hatte er sich die stolze Aristokratennase gebrochen – vermutlich war er als Kind vom Pony gefallen, entschied Hannah ungerührt. Seine Augen waren sanft und von jenem Braun, in dem eine Frau sich verlieren konnte, doch aus ihren unergründlichen Tiefen blitzte ein scharfer Intellekt. Es bedurfte nur eines Blicks, und er hatte Miss Murray abgetan. Dann richtete sein Blick sich auf Hannah. Er wartete nicht erst ab, dass Cusheon ihn vorstellte, sondern verbeugte sich knapp. »Miss Setterington, wie ich annehme?«
Hannah fasste auf der Stelle eine Abneigung gegen den Mann. Barsche, ungehobelte Kreatur! »Ja. Und Sie sind … ?«
»Devon Mathewes, Earl of Kerrich«, proklamierte Cusheon, und man musste den
Weitere Kostenlose Bücher