Geliebte Gefangene
Dunkelheit in einem überirdischen Licht, das den Männern eine eisige Kälte ins Herz kriechen ließ. Am Morgen würden sie in die Schlacht ziehen, aber heute Nacht drängten sie sich in den Ställen und Scheunen des Dorfes um die flackernden Feuer. Sie tranken den Rest ihres Ales, sprachen leise miteinander und versuchten, nicht an den kommenden Morgen zu denken.
Simon Greville glaubte im ersten Augenblick, dass er sich das Klopfen an der Tür nur eingebildet hatte. Das Treffen mit seinen Captains war schon lange vorbei. Sie hatten die Strategie für den nächsten Tag abgesprochen und sich dann zurückgezogen, um den Morgen zu erwarten und zu versuchen, zumindest ein wenig Schlaf zu finden. Er hatte Befehl gegeben, dass er diese Nacht nicht mehr gestört werden wollte. Und doch hörte er wieder ein leises, aber beharrliches Klopfen an der Stalltür. Simon war eher überrascht als verärgert, weil seine Anweisungen offensichtlich missachtet wurden. Er wusste, dass seine Männer nur im äußersten Notfall einem seiner Befehle zuwiderhandeln würden.
Mit wenigen Schritten durchquerte er den Raum und stieß die Tür auf. Die wackligen Scharniere knarzten, und eine Windbö trieb die Kälte der Nacht und einige verirrte Schneeflocken in den Stall. Die Flammen der Kerzen flackerten, und der scharfe Geruch des brennenden Talgs hing in der Luft.
„Was ist geschehen?“ Er wusste, dass seine Stimme schroff klang, doch am Vorabend einer Schlacht konnte selbst er, der für seine Kaltblütigkeit bekannt war, sich nicht eines gewissen Gefühls der Ruhelosigkeit erwehren.
Vor ihm stand der jüngste seiner Captains. Guy Standish war kaum älter als zwanzig Jahre und starrte ihn aus großen, erschreckten Augen an. „Verzeiht die Störung, Mylord. Es ist ein Bote von Grafton Manor gekommen.“
Simon wandte sich ab. Er hätte sich denken können, dass die königstreue Garnison einen letzten verzweifelten Versuch unternehmen würde, sich zu ergeben und so ein Blutbad zu verhindern. Schon den ganzen Tag hatte er darauf gewartet, dass sie kommen würden, um einen Waffenstillstand auszuhandeln. Jetzt war es also so weit. Der feige General des Königs, Gerard Malvoisier, versuchte, um sein erbärmliches Leben zu feilschen.
Vor zwei Wochen hatte Malvoisier Simons jüngeren Bruder, der das Gut als Abgesandter der Parlamentarier unter weißer Flagge betreten hatte, ermordet. Malvoisier kannte keine Gnade und hatte Henrys Körper zerstückelt zurückgeschickt. Nun erwartete er offensichtlich von Lord Greville, dass er sein wertloses Leben schonte. Wieder fühlte Simon die überwältigende Welle des Schmerzes, die ihn überflutet hatte, als er von Henrys Tod erfuhr. Zwei Wochen waren viel zu kurz, um dieser Trauer die Zeit zur Heilung zu geben. Ihm war auch die schwierige Aufgabe zugefallen, seinem Vater einen Brief mit der Todesnachricht zu senden. Fulwar Greville, der Earl of Harington, unterstützte den König, während seine Söhne loyal auf der Seite der Parlamentarier standen. Und nun war einer seiner Söhne tot, gestorben im Kampf um eine Sache, die die Lehnstreue ihres Vaters verriet.
Simon wusste, dass seine und Henrys Entscheidung ihrem Vater das Herz gebrochen hatte. Trotz ihrer politischen Differenzen empfand er den tiefsten Respekt für den Earl. Und er fühlte eine große Schuld, weil er Henrys Tod nicht hatte verhindern können. Also lenkte er all seinen Hass und seine Wut auf den in Grafton stationierten Gerard Malvoisier. Es würde keine Gnade für die belagerte Armee auf dem Gut geben, weder jetzt noch später. Es machte keinen Unterschied, dass Grafton – und seine Herrin – ihm einst versprochen waren. Der Bürgerkrieg hatte alle Bündnisse zerstört.
Standish wartete noch immer.
„Ich will den Boten nicht sehen“, sagte Simon. „Es gibt nichts mehr zu diskutieren. Die Zeit für Verhandlungen ist lange vorbei. Wir greifen am Morgen an, und nichts und niemand kann das jetzt noch verhindern.“
Seine Stimme war eisiger als die schneeerfüllte Nachtluft, aber Standish blieb trotzdem stehen. Er wirkte angespannt.
„Mylord …“
Nur mit Mühe hielt Simon seine Wut im Zaum und wirbelte herum. „Was ist denn noch?“
„Der Bote ist Lady Anne Grafton, Mylord“, stotterte der junge Mann. „Wir dachten … weil es doch die Herrin selbst ist …“
Simon fluchte leise. Es war geschickt von Malvoisier, Lady Anne zu schicken. Er musste wissen, dass sie der einzige Bote war, den er nicht ohne Weiteres
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