Geliebte Gefangene
Euch nicht erschrecken. Euer Vater sucht Euch, Lady Anne. Alles ist bereit für das Fest.“
Anne nickte. Ihr Herz schlug viel zu schnell, nicht nur wegen des Schrecks, sondern auch, weil ihr bewusst wurde, dass sie zum ersten Mal allein mit Lord Greville war. Während der letzten Woche waren sie zusammen ausgeritten, hatten unter den wohlwollenden Blicken des gesamten Haushalts getanzt und sich über unverfängliche Dinge unterhalten. Aber plötzlich schien ihr das sehr wenig, um eine Ehe darauf aufzubauen. Sie erinnerte sich an ihre Pflicht, aber dennoch erfüllte plötzlich Angst ihr Herz. „Natürlich“, sagte sie. „Entschuldigt mich, Lord Greville.“
Doch Simon blieb stehen. Er streckte eine Hand aus und berührte ihren Arm. „Einen Augenblick Eurer Zeit, Lady Anne.“
Anne schaute zu ihm auf. Die Abendsonne blendete sie, und sie konnte seinen Gesichtsausdruck nicht erkennen. Sie wartete mit wild klopfendem Herzen.
Simons Hand glitt ihren Arm hinunter, und seine Finger fanden die ihren. Seine Hand war warm, und seine Berührung sandte einen Schauer über Annes Körper. „Ich habe die Erlaubnis Eures Vaters, Euch zu heiraten, Lady Anne, aber ich habe noch nicht die Eure.“
Fragend starrte Anne ihn an. „Ihr braucht die meine nicht, Mylord.“
Simon lächelte sie an. „Oh doch, die brauche ich. Ich werde keine unwillige Frau zur Braut nehmen. Also sprecht offen, Anne of Grafton, wenn Ihr mich nicht als Ehemann haben wollt, denn schon bald werden wir unser Verlobungsversprechen geben.“
Seine Hände schlossen sich fester um die ihren, während er auf ihre Antwort wartete. Annes Blick glitt über sein ernstes, strenges Gesicht. Sie fühlte ein leichtes Beben in ihrem Magen. „Ich werde meine Pflicht …“, begann sie.
„Ich will nicht Eure Pflicht.“ Verärgerung klang in seiner Stimme mit. „Ich will Euch.“ Er bemühte sich um einen ruhigeren Ton. „Und ich hatte gehofft – vergebt mir –, dass Ihr vielleicht zumindest ein bisschen genauso fühlen würdet …“
Anne erinnerte sich an den Augenblick, als sie ihn zum ersten Mal im Hof gesehen hatte, und sie dachte an Edwinas Worte über ihre Hochzeitsnacht. Unwillkürlich stahl sich ein leichtes Lächeln auf ihre Lippen. „Nun, ich …“
Weiter kam sie nicht. Simon beugte sich zu ihr und küsste sie. Er zog sie eng an sich, sein Mund lag hungrig und heiß auf dem ihren. Annes überraschter Aufschrei verlor sich unter seinen fordernden Lippen. Das Blut pochte in ihren Adern, und ihr drehte sich der Kopf.
Sanft löste er sich von ihr, und sie suchte Halt an dem moosbedeckten Stein der Sonnenuhr. Sie zitterte am ganzen Körper. Ihre Finger pressten sich gegen ihre Lippen. Verwirrung und die erste Ahnung körperlichen Begehrens erfüllten sie.
„Heißt das Ja?“, fragte Simon. Leidenschaft brannte hell und funkelnd in seinen Augen.
Anne sah es und verstand zum ersten Mal in ihrem Leben die beeindruckende Stärke ihrer eigenen Macht. Erregung erfüllte ihren Körper. Solche Macht über so einen Mann zu haben … Sie könnte ihn in die Knie zwingen. Der Gedanke machte sie schwindelig. „Ich denke darüber nach“, antwortete sie ihm mit züchtig niedergeschlagenen Augen. „Es stimmt, Mylord, dass Ihr wohl anzusehen seid …“
Ein Lächeln huschte über seine Lippen, aber er konnte die Ungeduld seines Verlangens nur mühsam unter Kontrolle halten. „Danke“, murmelte er. „Und?“
„Und die Zeit, die wir miteinander verbracht haben, hat mir … Vergnügen bereitet …“
„Und?“
„Und ich denke, dass Ihr ganz ausgezeichnet küsst, Mylord, auch wenn ich keinen wirklichen Vergleich habe.“
Simon trat auf sie zu, doch sie wich ihm aus und ging leichtfüßig den Pfad entlang. Sie lachte jetzt, Aufregung und Glück schienen das Blut schneller durch ihre Adern fließen zu lassen.
„Nachdem ich also über Euren Antrag nachgedacht habe …“
Sie hielt inne und sah ihn an. Er griff nach ihrem Handgelenk, zog sie zu sich heran und hielt sie fest gegen seine Brust gepresst.
„Ja?“, sagte er.
„Ja, ich will Euch heiraten“, flüsterte sie, bevor sich ihre Lippen wieder fanden. „Von ganzem Herzen, ja.“
1. KAPITEL
Grafton, Oxfordshire, England
Februar 1645
Es hatte den ganzen Tag geschneit. Die weißen Flocken hingen wie ein Leichentuch zwischen dem belagerten Landgut und der Armee, die kaum eine halbe Meile entfernt lag und es umzingelt hatte. Nun, da die Kirchenglocke Mitternacht schlug, schimmerte die
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