Geliebte Kurtisane
nur ein Mann.
Mit Männern kannte Jessica sich aus. Sie wusste, was Männer wollten, und sie wusste es ihnen zu verschaffen. Und den letzten sich regenden Resten ihres Gewissens sei gesagt: Sie würde ihn nicht zwingen.
Das würde gar nicht nötig sein.
Sie würde ihm einfach zu verstehen geben, dass sie verfügbar sei. Das funktionierte bei allen Männern. Sir Mark würde sich selbst dem Untergang weihen.
Sie müsste nur ein wenig nachhelfen, um die Sache zu beschleunigen.
Seine erste Woche in Shepton Mallet brachte Mark überwiegend mit Nachdenken zu.
Seit man ihm den Posten in der Armenkommission angeboten hatte, waren seine Gedanken nicht mehr zur Ruhe gekommen. Der Kommission unterstanden die Armenhäuser, und sie erfreuten sich wenig Beliebtheit in der Bevölkerung. Mark war sich bewusst, dass man dies mit seiner Berufung zu ändern hoffte, befürchtete jedoch, dass genau das Gegenteil eintreten und lediglich er an Ansehen verlieren würde.
Die gegenwärtigen Armengesetze waren ein Skandal. Gehörte er der Kommission an, könnte er etwas verändern. Zumal er sich in der Verantwortung sah, seine Popularität sinnvoll zu nutzen. Andererseits zweifelte Mark den grundsätzlichen Nutzen von Armenhäusern an, und er sah sich nicht gleich das ganze System neu ordnen.
Diese Bedenken hatte er auch dem Unterstaatssekretär dargelegt. Es gab allerdings noch andere, persönlichere Bedenken, die ihm hier in Shepton Mallet, im Haus seiner Kindheit, besonders zu schaffen machten. Er war hier aufgewachsen. Sein Bruder wäre hier fast gestorben. Und seine Mutter hatte hier den Verstand verloren.
Ihr Leben den Armen zu widmen, klang nobel, aber seine Mutter kannte kein Maß und hatte fast das gesamte Vermögen der Familie weggegeben. Von seinen drei Brüdern verstand vielleicht nur Mark, was sie dazu getrieben hatte. Ein Trost war es ihm nicht, die Beweggründe einer Verrückten mit solcher Leichtigkeit nachvollziehen zu können.
War das der Grund seines Rückzugs? Er mochte nicht in die Politik gehen. Selbst wenn er sein restliches Leben dem Dienst an den Armen widmen sollte, schien ihm ein Umbau der Verwaltung der Armenhäuser wenig zweckführend. Und doch …
Schon oft hatte er gedacht, dass seine Lebensaufgabe darin bestand, Friede mit dem Erbe seiner Mutter zu schließen. Sie hatte in allem nach Perfektionismus gestrebt, er hatte eine praktische Anleitung zur Keuschheit verfasst, die auch menschliche Schwächen zugestand. Sie war beim geringsten Anlass in Rage geraten, er hatte gelernt, sein überschießendes Temperament zu zügeln. Seine Mutter hatte kein Maß gekannt, Mark strebte in allem eher das Gegenteil an.
Noch hatte er nicht Nein gesagt. Vielleicht war das seine Gelegenheit, sein Leben den Armen zu widmen, ohne in eifernde Maßlosigkeit zu verfallen.
Vielleicht.
Er war zurückgekehrt ins Haus seiner Kindheit, das voll der Erinnerungen war, weil er meinte, es sei ein guter Ort, das ihm unterbreitete Angebot mit der nötigen Distanz zu bedenken. Was Kontemplation und Abgeschiedenheit anging, war heute, da der Regen nur so aufs Dach prasselte, der bislang beste Tag.
Seine Zugehfrau hatte er mittags nach Hause geschickt, und der Junge, der sich um den Garten kümmerte, erschien ohnehin nur ein paar Tage die Woche.
Draußen dürfte man bei diesem Wetter knöcheltief im Schlamm versinken; kein vernünftiger Mensch käme heute zu Besuch. Wenn Mark Glück hatte, hätte er gar seine Ruhe bis zum Picknick der Kirchengemeinde in zwei Tagen.
Viel Zeit, sich Gedanken zu machen.
Doch kaum hatte er sich mit einem der alten Tagebücher seiner Mutter im Sessel niedergelassen, klopfte es an die Tür. Mark stöhnte leise.
Er hätte es sich denken können. Was ihn anging, verließ viele Menschen die Vernunft.
Einen Augenblick erwog er, nicht aufzumachen. Nachher war es der Pfarrer mit seiner gottgefälligen Tochter im Schlepptau.
Ihm kam dann ein anderer Einfall: Es könnte auch Mrs Jessica Farleigh sein, nass bis auf die Haut. Vielleicht hatte sie sich verlaufen und … Nein . Solche Schuljungenfantasien gehörten ins Dunkel der Nacht, wo man sich der mit ihnen einhergehenden Lust gleich entsprechend annehmen konnte.
Wahrscheinlich war es Mrs Ashton, seine Zugehfrau, die nur noch mal nach dem Rechten sehen wollte. In Ölzeug und Galoschen wäre sie durch Wind und Wetter gelaufen, ganz um sein Wohlergehen besorgt. Sie meinte es nur gut.
Das taten sie alle.
Seufzend ging er zur Tür. Jede Wette, dass es Mrs
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