Geliebter Feind (German Edition)
Welcher der Brüder mochte das sein? Jonas, der Älteste, der einmal das Vermögen und den Titel seines Vaters erben würde und für seine Brutalität und Trinkgelage bekannt war? Oder Jacob, der Mittlere, der den Ruf hatte, sich Frauen aufzudrängen?
Ihre Kehle schnürte sich ob der aufsteigenden Panik immer mehr zu. Was immer er ihr antun würde – sie würde es nicht kampflos über sich ergehen lassen. Nie mehr!
Die warme Stimme riss sie aus ihren Gedanken. »Miss? Ist alles in Ordnung mit Ihnen. Sind Sie verletzt?«
Claire zuckte zusammen, als eine Hand ihre Schulter berührte. Der Regen hatte zugenommen. Wie kleine Sturzbäche fiel das Wasser vom Himmel und die Feuchtigkeit drang bereits durch das Reitkostüm.
»Ich kann Ihnen helfen, ich bin Arzt.«
Arzt? Verwundert drehte sie sich um und blickte in ein Paar eisblaue Augen, die sie als kleines Mädchen schon fasziniert hatten. »Justin?«
»Claire?« Gerade hatte er noch an sie gedacht, und in seinen Erinnerungen war sie immer noch jenes vierzehnjährige Mädchen, doch jetzt lag vor ihm eine erwachsene Frau, die nicht im Geringsten mehr einem Jungen ähnelte. Nur ihre unergründlichen, tiefgrünen Augen gaben ihm die Sicherheit, dass sie es wirklich war. »Claire …« Ein Anflug von Wut überkam ihn. Jahrelang hatte er ihr die Schuld für sein liebloses Leben gegeben. Jetzt, wo er Arzt war, wusste er natürlich, dass das absolut lächerlich war, doch dieser Zorn hatte sich so fest in ihn eingebrannt, dass er ihn immer noch spürte.
»Was ist passiert?« Seine Stimme klang kälter als er wollte. Als Arzt war er verpflichtet ihr zu helfen, auch wenn er jetzt am liebsten so schnell wie möglich vor ihr geflohen wäre. Ihre Schönheit verwirrte ihn.
Ihr süßer Mund öffnete und schloss sich ein paar Mal, ohne dass ein Laut erklang. Sie blickte ihn an, als würde sie einen Geist sehen.
»Belle«, brachte sie schließlich hervor. »Sie hat mich abgeworfen. Dabei habe ich mir den Knöchel verstaucht.«
Erst jetzt fiel ihm auf, dass sie nur einen Stiefel trug. »Darf ich?«, fragte er barsch, und als sie zögerlich nickte, kniete er sich zu ihr herunter und nahm ihren Fuß in die Hände. Am Außenknöchel ertastete er eine leichte Schwellung. Welch zierlichen Fuß sie hat , dachte er und musste sie daraufhin wieder ansehen.
Der Regen nahm stetig zu. Dicke Tropfen verfingen sich in ihrem kastanienfarbenen Haar, dessen Locken ihr bis über die Schultern fielen. Ihr Körper steckte in einem braunen Reitkostüm und betonte jede ihrer weiblichen Kurven. Seine Claire, sein einstmals »bester Freund«, war zu einer wunderschönen Frau herangereift, mit der er hier nicht allein im Regen stehen sollte. Er musste von ihr weg.
Stattdessen streckte er ihr den Arm hin. »Nimm meine Hand.« Als er ihr aufhalf, bemerkte er den kostbaren Ring an ihrem Finger. Wie konnte sie sich so ein Schmuckstück leisten? Jetzt fielen ihm auch die teure Kleidung und das edle Pferd auf, was ihm Gewissheit brachte: Sie hatte einen reichen Mann geheiratet. Dieser konnte sich glücklich schätzen eine so hübsche Frau an seiner Seite zu haben. Justins Herz verkrampfte sich. Claire ging ihn nichts an. Er sollte sie hassen!
Er versuchte, sich seine Verwirrung nicht anmerken zu lassen. »Was machst du hier draußen?« Fester als üblich presste er sie an sich, damit sie das verletzte Bein nicht zu sehr belastete, wobei ihm ein blumiger Geruch in die Nase stieg. Claire ging ihm nur bis zur Brust, was bei ihm beinahe den Wunsch auslöste, sie nie wieder loszulassen und vor allen Gefahren zu beschützen. Doch sie gehörte zu den Reeces – zu seinen Feinden –, ob er wollte oder nicht.
Krampfhaft hielt sie sich an seinen Schultern fest und starrte ihn einfach nur an. Sie zitterte – ob der Kälte oder wegen seiner Nähe, das wusste er nicht –, doch ihr bebender Körper fühlte sich in seinen Armen einfach richtig an.
Claire räusperte sich. »Ich war eine Freundin besuchen und gerade auf dem Heimweg. Als ich die schwarzen Wolken bemerkte, habe ich diese Abkürzung genommen.«
Er fühlte, dass das nicht der Wahrheit entsprach. Dass sie ihm nicht mehr vertraute und ihn belog, tat weh. Aber was erwartete er? Es lagen zu viele Jahre der Trennung zwischen ihnen und die Freundschaft aus Jugendtagen existierte nicht mehr. Justin spürte, wie sie innerlich vor ihm auf Abstand ging.
Ein Blitz durchzuckte den Himmel und Augenblicke später folgte ein ohrenbetäubender Donnerschlag. Er lockerte
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