Geliebter Schuft
Bericht.
»Ja, das wirkt. Sie kramt jetzt in ihrer Handtasche«, sagte Chastity befriedigt. »Und er lässt den Blick durch den Raum wandern, vermeidet es aber, unseren Tisch ins Auge zu fassen. Er scheint sich ungewöhnlich stark für die Tanzfläche zu interessieren. Vielleicht tanzt er gern Tango.«
Nun war es um Constances Zurückhaltung geschehen. Sie ließ ihre Serviette zu Boden fallen, bückte sich und drehte sich ganz beiläufig um, so dass sie einen Blick über die Schulter werfen konnte. »Du hast Recht. Ein sehr gut aussehendes Exemplar«, sagte sie. »Sehr vornehm, würde ich sagen.«
»Ein wenig arrogant, würde ich sagen«, fügte Prudence hinzu. »Ich nehme an, wir sollten beim Hinausgehen am Tisch stehen bleiben?«
Constance nickte ernst. »Das gebietet die Höflichkeit. Schließlich ist Elizabeth eine Freundin der Familie.« Sie gab dem Serviermädchen mit einer Handbewegung zu verstehen, dass sie die Rechnung bringen sollte.
»Aber du hast uns noch nicht gesagt, was für eine Idee du hast«, erinnerte Prudence sie.
»Ach, das sagte ich euch, wenn wir uns zum Dinner umziehen.« Constance nahm The May fair Lady und glättete die Seiten mit der flachen Hand, während Prudence Münzen auf den Tisch zählte.
Die drei jungen Frauen standen auf, nahmen Handschuhe, Schals und Handtaschen und schlenderten gemeinsam zwischen den Tischen hindurch, nach links und rechts mit einem Lächeln oder einem Kopfnicken grüßend, da und dort innehaltend und ein paar Worte wechselnd. So gelangten sie zu dem Tisch, an dem Lady Armitage und ihr geheimnisvoller Begleiter saßen.
»Elizabeth, wie geht es dir?« Constance begleitete die Frage mit einer kleinen, höflichen Neigung des Kopfes. »Schreckliches Wetter für Hochsommer, findest du nicht?«
»Ja, einfach grässlich. Wie geht es euch, meine Lieben? Ihr seht zauberhaft aus.« Lady Armitage hatte ihre Fassung wiedererlangt und begrüßte das Trio mit einem verhaltenen Witwenlächeln. »Ihr habt die Halbtrauer abgelegt.«
»Lavendel und Taubengrau wurden ein wenig fade«, sagte Constance. »Und Mutter war nie heikel in diesen Dingen.«
»Nein, wirklich nicht. Die Arme.« Mit einem leisen, mitfühlenden Seufzer wandte sie sich ihrem Begleiter zu.
»Meine Lieben, ich darf euch Max Ensor vorstellen. Er gewann vor kurzem die Nachwahl in Southwold und ist gekommen, um seinen Sitz im Parlament einzunehmen. Seine Schwester, die charmante Lady Graham, ist eine liebe Freundin von mir. Sicher kennt ihr sie. Mr. Ensor, darf ich die Ehrenwerten Misses Duncan vorstellen.« Sie machte die entsprechende Handbewegung zwischen den Damen und dem Gentleman, der sich erhoben hatte.
Constance registrierte, dass er noch größer war, als sie erwartet hatte. Seine imponierende Statur wurde durch die förmliche Kleidung - schwarzer Gehrock, ebensolche Weste und grau gestreifte Hose - sehr vorteilhaft betont. Der Kontrast seiner silbrig durchzogenen, schwarzen Haare zu den lebhaften blauen Augen unter gewölbten schwarzen Brauen war einfach hinreißend. »Constance Duncan, Mr. Ensor«, sagte sie. »Das sind meine Schwestern Prudence und Chastity.« Sie lächelte. »Natürlich kennen wir Lady Graham. Wohnen Sie bei ihr?«
Max Ensors Verbeugung war Begrüßung und Bejahung zugleich. »Bis ich ein passendes Haus in Westminster finde, sozusagen in Hörweite der Abstimmungsglocke, Miss Duncan.« Seiner Stimme, die erstaunlich weich, wohltönend und dunkel klang, war anzuhören, dass sie aus einem kraftvollen Körper kam.
»Das ist natürlich sehr wichtig«, erwiderte Constance mit verständnisvollem Nicken. »Damit Sie nicht Gefahr laufen, eine entscheidende Abstimmung zu versäumen.«
»Ganz recht.« Sein Blick schärfte sich, als er sich fragte, ob die offenkundig ernste Zustimmung nicht von leisem Spott gefärbt war. Machte sie sich über ihn lustig? Er musste sich geirrt haben. Über männliches Pflichtgefühl wurde nicht gespottet.
»Bitte, nehmen Sie wieder Platz, Mr. Ensor«, sagte Chastity. »Wir wollten nur rasch Elizabeth begrüßen und müssen gehen.«
Der Gentleman, dessen Blick unverändert scharf blieb, lächelte, blieb aber stehen.
»Ist dir dieses Blättchen schon einmal untergekommen, Elizabeth?« Constance legte die Ausgabe von The Mayfair Lady auf den Tisch.
»Ach, dieses schreckliche Ding!«, rief Lady Armitage aus. »Lord Armitage würde es nicht in seinem Haus dulden. Woher hast du es?« Sie streckte die Hand mit schlecht verhohlener Begierde danach
Weitere Kostenlose Bücher