Geliebter Schuft
Älteste, war mit ihrem rostroten Haar und den dunkelgrünen Augen die Auffallendste, was sie vielleicht auch ihrer Größe verdankte. So oder so, alle drei hatten etwas, das sein Interesse weckte.
»Waren das Lord Duncans Töchter?«, fragte er.
»Ja. Ihre Mutter verstarb vor drei Jahren.« Elizabeth seufzte mitleidig. »Arme Mädchen, es war sehr schwer für sie. Man möchte meinen, dass alle mittlerweile unter der Haube sein müssten. Constance muss jetzt achtundzwanzig sein, und ich weiß, dass sie mehr als nur eine Chance hatte.«
Winzige Fältchen erschienen zwischen ihren sorgfältig gezupften Brauen. »Tatsächlich glaube ich, mich an einen jungen Mann zu erinnern ... ach ja, da gab es vor einigen Jahren eine schreckliche Tragödie. Er fiel im Krieg ... in Mafeking oder an einem anderen dieser unaussprechlichen Orte.« Sie tat den ganzen afrikanischen Kontinent samt seinen unzähligen verwirrenden Ortsnamen mit einem ungeduldigen Kopfschütteln ab.
»Tja, und was Chastity betrifft«, fuhr sie fort, erleichtert, wieder festeren Boden zu betreten, »nun, mit ihren sechsundzwanzig Jahren hatte sie unzählige Bewerber.«
Sich vorbeugend, schlug Elizabeth einen vertraulichen Ton an. »Die Ärmsten nahmen sich den Tod ihrer Mutter sehr zu Herzen.« Sie seufzte mitleidig. »Alles kam so plötzlich und war nach wenigen Wochen vorüber. Krebs«, fügte sie hinzu. »Sie schwand einfach dahin.« Wieder schüttelte sie den Kopf und führte sich einen Bissen vom Haselnusskuchen mit reichlich Sahne zu Gemüte.
Max Ensor schlürfte an seinem Tee. »Ich bin mit dem Baron entfernt bekannt. Er nimmt meist an den Sitzungen des Oberhauses teil.«
»Ach, Lord Duncan ist sicher sehr gewissenhaft. Ein bezaubernder Mann, ganz reizend. Und doch werde ich das Gefühl nicht los, dass er seine väterlichen Pflichten nicht ganz ernst nim mt.« Elizabeth tupfte ihren geschminkten Mund vorsichtig mit der Serviette ab. »Er sollte darauf drängen, dass sie heiraten ... zumindest Constance und Chastity. Drei alte Jungfern in der Familie - völlig unmöglich. Prudence ist anders. Sie würde sich sicher damit begnügen, im Haus zu bleiben und sich um ihren Vater zu kümmern. Ein so vernünftiges Mädchen ... schade, dass sie diese Brille trägt. Damit sieht eine Frau so langweilig aus.«
Langweilig war nicht das Wort, das Max Ensor nach der ersten Begegnung mit einer der drei Duncan-Schwestern gebraucht hätte. Ihm war deutlich in Erinnerung geblieben, dass hinter Miss Prudence' dicken Brillengläsern ein überaus waches und lebhaftes grünes Augenpaar hervor sah.
»Könnte ich einen Blick in das Blättchen werfen, Madam?«, fragte er mit beifälligem Nicken.
»Es ist skandalös.« Elizabeth öffnete ihre Tasche wieder und fuhr in gedämpftem Ton fort: »Natürlich lesen es alle, auch wenn es niemand zugibt. Sicher wirft auch Letitia ab und zu einen Blick hinein.« Sie schob ihm die zusammengefalteten Seiten verstohlen zu.
Max Ensor hatte seine Zweifel, ob seine Schwester Letitia etwas anderes las, als das handgeschriebene Menü, das ihr allmorgendlich von ihrem Koch präsentiert wurde, doch er behielt diese Überlegung für sich und entfaltete das Blatt.
Die Zeitung verriet fachmännische Herstellung, wenn er auch bezweifelte, dass sie in einer größeren Druckerei hergestellt wurde. Das Papier war billig und dünn, das Layout schmucklos. Er warf einen Blick auf die Inhaltsangabe links auf dem Titelblatt und zog die Brauen hoch. Zwei politische Artikel waren angeführt, einer galt den neuen Öffnungszeiten für Lokale, der andere der neuen Zwanzig-Meilen-Geschwindigkeitsbegrenzung für Motorwagen. Kaum Themen, die Mayfair— Damen vom Schlage Elizabeth Armitage' oder Letitia Grahams ansprachen, doch deutete der kühne Titel darauf hin, dass man sich an eben diese Leserschaft wandte.
Sein Blick fiel auf eine eingerahmte Schlagzeile, auffallender als alle anderen. Es war eine Überschrift, als Feststellung und Frage formuliert, die dem Leser förmlich in die Augen sprang. WEIBLICHE STEUERZAHLER FORDERN STIMMRECHT. WIRD DIE LIBERALE REGIERUNG DER FORDERUNG NACHGEBEN?
»Mir scheint, das Blatt hat mehr im Sinn als Klatsch und Mode«, bemerkte er und tippte auf die Überschrift.
»Ach, das. Nun ja ... man liest immer wieder über diese Stimmrechtsfrage«, sagte Elizabeth. »Furchtbar langweilig. In jeder Nummer steht auf der Titelseite etwas zu dem Thema. Wie die meisten von uns schenke ich diesen Schlagzeilen keine Beachtung.«
Max
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