Geliebtes Landleben
bedeutet wohl, daß
sie endlich wirklich erwachsen wurde, und daß sie viel tiefer getroffen war,
als selbst ich es erwartet hatte. Aber sie wollte ihren Schmerz allein tragen
oder so wenig wie möglich darüber sprechen und bemitleidet werden. Aber was
hatte sie beschlossen? Wie die Entscheidung auch ausfiel, sie würde unglücklich
sein. Wenn sie das Versprechen, das sie Oliver gegeben hatte, halten würde,
obwohl er das ihr stillschweigend gemachte gebrochen hatte, stand ihr ein Leben
bevor, das ihr keinen Spaß machen würde. Wenn sie sich geweigert und gesagt
hatte, daß sie keinen Mann heiraten würde, der nach ihren albernen
Vorstellungen seiner Pflicht den Rücken kehrte, mußte sie schwer leiden. Denn
es gab keinen Zweifel, daß sie ihn geliebt und geglaubt hatte, den Mann ihres
Lebens gefunden zu haben. In jedem Fall waren die weiteren Aussichten
unglücklich. Aber welche Entscheidung würde fallen?
Den
ganzen Tag machte ich mir Gedanken darüber. Erst am Abend, als die Kinder im
Bett waren und wir drei im kühlen Wohnzimmer so schweigsam saßen, wie wir es
sonst nicht kannten, wenn Tony zu Hause war, erzählte sie es uns. Ihre Stimme
war bewußt ruhig und nüchtern, als sie sagte: »Ich heirate Oliver natürlich
nicht.«
Es
entstand eine Pause, in der Paul sehr sorgfältig seine Pfeife stopfte, und dann
sagte ich: »Das habe ich befürchtet, Tony.«
Sie
fuhr mich scharf an: »Befürchtet? Heißt das, daß du geglaubt hast, ich würde
einen Mann noch heiraten, nachdem ich herausgefunden habe, daß er nicht so ist,
wie ich dachte?«
»Ich
wußte nicht, was ich glauben sollte. Es ist deine Entscheidung. Wie immer sie
ausfällt, wir werden auf deiner Seite stehen.«
Sie
stand nicht auf, um mich zu umarmen, wie sie es noch vor einem Monat getan
hätte, sondern sie sagte nur ruhig: »Danke, Susan. Ich habe erwartet, daß du
das sagst. Aber du verstehst mich doch, oder? Natürlich war ich schrecklich
albern, aber ich habe wirklich geglaubt, Oliver wäre der Mann, der sich ganz
für die Leute aufopfert, die ihn wirklich brauchen.«
Ihre
Stimme war so traurig, daß mir das Herz für sie blutete, aber Paul war ganz
realistisch. »Die Leute in der Stadt brauchen genauso Hilfe wie im Hinterland,
weißt du.«
»Natürlich,
aber an einem Ort wie diesem ist die Lage wirklich verzweifelt. Menschen
sterben, weil es keinen Arzt gibt. In der Stadt findet man normalerweise einen.
Ich dachte, Oliver wäre sich dessen bewußt und bereit, seinen eigenen Ehrgeiz
zu opfern.«
Paul
sprach erneut. »Es ist nicht nur Ehrgeiz. Wenn er sein ganzes Leben hier
verbringen würde, dann würde er niemandem mehr etwas nützen. Verdammt noch mal,
Tony, der Junge ist erst achtundzwanzig. Hast du erwartet, daß er sich hier
festsetzt, die anderen Ärzte aber auf dem neuesten Stand bleiben, während er
als Geburtshelfer herumreist oder Arthritis und Geschwüre behandelt? Soll er
seinen ganzen Verstand einfach verrotten lassen?«
Sic
errötete vor Ärger. »Natürlich nicht. So dumm bin ich auch nicht. Aber er hätte
sich auf dem neuesten Stand halten können. Es gibt Fortbildungskurse und
genügend Literatur und Sitzungen mit anderen Ärzten. Er hätte einen
Stellvertreter bekommen können, wenn er längere Zeit weggemußt hätte. Ich
dachte, er würde all das tun und es dann dort anwenden, wo es so nötig
gebraucht wird. Das hätte er auch getan, wenn er sich wirklich engagiert
hätte.«
Ich
sagte: »Ich glaube, das ist nicht fair, Tony, Oliver hat sich engagiert. Er war
ausgesprochen gewissenhaft und aufopfernd, und wenn er geht, ist er doppelt so
lange geblieben, wie er versprochen hat. Er hat seine Pflicht getan.«
»Das
weiß ich, aber nicht bis zu Ende. Er hinterläßt seine Aufgabe unvollendet und läßt viele Leute im Stich, die auf
ihn vertrauen.«
»Sie
werden schon einen anderen Mann finden«, sagte Paul. »Er wird nicht so gut und
nicht so jung sein wie Barrett, aber gut genug.«
»Gut
genug«, brauste Tony auf. »Glaubst du, das ist alles, was das Hinterland
braucht? Nicht einen erstklassigen Mann, nur jemanden, der gut genug ist.«
»Oh,
hör schon auf.« brummte Paul. »Du weißt, was ich meine, so gut, daß er bereit
ist, hierher zu kommen.«
»Versuche
praktisch zu denken, Tony«, warf ich vorsichtig ein. »Du mußt zugeben, daß dies
die Nachteile des Hinterlandes sind. Du kannst das von erstklassigen Ärzten ebensowenig
erwarten wie von erstklassigen Lehrern.«
Einen
Augenblick herrschte Schweigen, dann sagte
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