Geliehene Träume ROTE LATERNE - Band 5 (Rote Laterne Roman) (German Edition)
kommt alles ein bisschen überraschend«, erklärte er. »Schön und gut, dass du diesen Preis gewonnen hast, aber ...«
»Es gibt überhaupt kein Aber«, verbot sie ihm, weiterzureden. »Wenn ich sage, dass du mitkommst, dann kommst du mit!«
»Okay«, meinte er, »die Reise hast du gewonnen, aber wie sieht es mit dem Taschengeld aus? Glaubst du, dass du auf diesem Luxusliner vielleicht von Luft und Liebe leben kannst? Nee, Mädchen, das funktioniert nicht.«
»Also hör mal!«, entrüstete sie sich. »Ein paar Märker wirst du ja wohl auf der Kante haben, oder nicht?«
»Nur Schulden«, ächzte er. »Alles gepumpt.«
»Ich hab' so an die sechshundert Mark«, erklärte sie. »Meine eiserne Ration für trübe Tage, weißt du. Die würde ich natürlich gern zubuttern.«
»Und was zieht man an?« fragte er. »Du, ich habe nur Jeans und meine Bühnenklamotten. In denen steckt das ganze Geld.«
Er öffnete einen Schrank. Da hingen all seine Glitzerfräckchen, die heute wohl kaum noch zu etwas nutze waren.
»Ja, du hast recht«, sinnierte sie, »in diesen Klamotten kannst du wohl schlecht auf den Dampfer gehen. Wenn ich's recht überlege, habe ich auch nichts Ordentliches zum Anziehen. Ich kann ja nicht in meiner Arbeitskleidung antreten. Dann sieht man doch sofort, was los ist. Ach, Ronny, wir müssten versuchen, mal so richtig auf fein zu machen. Weißt du, einmal im Leben so richtig vornehm sein! Einmal sollen sie mich nicht mehr Nutte nennen, dann möchte ich ein ganz normales Mädchen sein.«
»Und ich ein stinknormaler Kerl«, erwiderte er. »Aber schlag dir das aus dem Kopf, Lilly. Die ganze Chose lässt sich wohl kaum finanzieren. Vielleicht kannst du den Gewinn in Bargeld umwandeln lassen?«
»Geht nicht«, sagte sie dumpf. »Hast du nicht das Kleingedruckte gelesen? Schau her, da steht es doch schwarz auf weiß: Der Gewinn ist nicht in Bargeld auszahlbar.«
»Mist«, schimpfte er.
»Eben«, erklärte Lilly. »Aber verfallen lassen möchte ich ihn natürlich auch nicht. Herrje, du wirst doch noch ein paar alte Tanten auftreiben, bei denen du ein paar Mark verdienen kannst! Ich leg' mich auch ganz fleißig lang, und dann kratzen wir schon etwas zusammen. Ronny, das ist die Chance unseres Lebens! Allein hab' ich echt keine Lust. Du, überleg doch mal, wie oft wir schon davon geredet haben, einmal in unserem Leben so richtig eine Show abzuziehen!«
»Das wäre schon was«, sagte er und presste dann seine Lippen aufeinander.
»Wir müssen versuchen, diesen Traum zu verwirklichen«, erklärte sie fest, »wir müssen es tun, auf Biegen oder Brechen. Da gewinnt man einmal 'ne richtige Riesenreise, und hinterher soll man sie sausen lassen? Nein, nein! Also, ich fahre!«
Er überlegte nur ganz kurz.
»Okay«, meinte er, »ich komme mit. Ich werde gleich Elvira anrufen, vielleicht unterstützt sie mich.«
»Wer ist Elvira?«
»Oh«, antwortete er, »Elvira ist 'ne richtige Schreckschraube. Sie ist die Frau eines Fabrikanten und besucht mich ziemlich regelmäßig. Großzügig, aber schrecklich - wenn du verstehst, was ich meine.«
»Das ist dein Bier«, sagte Lilly. »Ich habe ja immerhin auch mein Päckchen zu tragen. Du, und noch eines: Posaune das Ganze nicht im Milieu herum, denn ich will meine Ruhe haben, kapiert?«
»Alles klar«, sagte er.
In diesem Augenblick läutete das Telefon. Er angelte nach dem Hörer und nahm ihn ab.
»Hallo?«, fragte er mit schmeichelnder und verführerisch klingender Stimme.
»Blöde Kuh«, sagte er, als er dann auflegte.
»Wer war das?«
»Eine Dame«, sagte er. »Sie hat Hurenbock zu mir gesagt.«
»Na, bravo«, meinte Lilly, »dann musst du dir ja das gleiche gefallen lassen wie ich.«
»So ungefähr«, meinte er zerstreut. »Aber jetzt muss ich mich anziehen. Ich habe für heute Abend eine Verabredung in die Oper.«
»Tatsächlich?« staunte sie.
»Ja«, sagte er, »eine Neukundin. Ich bin ja gespannt, worauf das wieder mal hinausläuft.«
»Gut«, sagte Lilly, »dann düse ich ab. Ich habe nämlich heute Nachtschicht. »Oh, wenn ich daran denke, wird mir jetzt schon richtig schlecht.«
»Tröste dich, mein Herz«, meinte er, »bald haben wir ja Ferien.«
★
Die Dame hieß Doris Wurst, und bei ihr ließ sich das Wort »Nomen est Omen« durchaus verwenden. Gute zweihundert Pfund walzten im Nerzmäntelchen neben Ronny her. Doris Wurst hatte Wurstfinger, die mit glitzernden Ringen reichlich geschmückt waren. Ronny schätzte seine Kundin auf Mitte
Weitere Kostenlose Bücher