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Gelinkt

Gelinkt

Titel: Gelinkt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Len Deighton
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unseres Wirkens ganz lieb ist. Andererseits reizt mich – wie vielleicht auch Sie – die Herausforderung solcher empfindlichen, komplizierten und irreführenden Wissensgebiete. Können Sie je sicher sein, eine Sache richtig zu beurteilen? Irgendeine?«
    »Manchmal«, sagte Fiona. »Sie haben mir noch immer nichts von Ihren Methoden erzählt.«
    »C. G. Jung hat einmal gesagt: ›Zeigt mir einen gesunden Menschen, und ich werde ihn euch heilen.‹ Ich denke oft darüber nach. Methoden? Was kann ich Ihnen sagen?« Er betrachtete sie mit höflichem Interesse. »Die Behandlung schwer gestörter Patienten hat sich im Laufe der Zeit radikal gewandelt. Da ist zuerst und zuoberst die altmodische Analyse, bei der die Patienten ermutigt werden, in die eigene Seele hinabzutauchen. Wie Freud entdeckte, ist das ein langwieriges Unternehmen. Also kamen die Neurochirurgen, die Löcher in den Schädel bohrten und mit chirurgischen Instrumenten Gehirnzellen und Nervenfasern zerstörten.« Er gab ihr Gelegenheit, sich die Scheußlichkeit dieses Verfahrens vorzustellen. »Dann kam die Zeit, da es so aussah, als sei die Elektroschocktherapie das Allheilmittel, nach dem alle gesucht hatten. Unsere Hoffnungen wurden aber auch von ihr enttäuscht. Nun waren die Chemiker an der Reihe, und man verabreichte den Patienten hohe Dosen von Dexedrin, gefolgt von Seconal und wie immer dann die neueren Drogen hießen, die die westdeutschen Chemiekonzerne verkaufen wollten.
    Inzwischen fangen meines Erachtens viele Spezialisten an zu vermuten, daß bei allem Humbug, den er verzapft hat, Freud wahrscheinlich doch ein paar ganz gute Ideen hatte. Aber die

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    Analyse auf der Couch ist ein langer Prozeß. Es wird niemals genug Analytiker geben, die Geisteskrankheiten in diesem arbeitsaufwendigen Verfahren zu bekämpfen.«
    »Und wo stehen Sie?«
    »Was die Therapiemethode angeht? Ich bin der Chefarzt, aber mein Stab hat ziemliche Freiheit bei der Auswahl der für die Patienten jeweils geeignetsten Therapie. Wir haben hier größtenteils Depressive und Schizophrene, von denen einige Katatoniker sind, deren Behandlung großes Geschick und viel Aufmerksamkeit verlangt. Indessen entspricht es unserer Aufgabe, eine Art Mülltonne zu sein, wo landet, was niemand mehr brauchen kann, daß wir die unterschiedlichsten Leiden behandeln müssen. Nach langjähriger Praxis bin ich nicht mehr geneigt, irgendeine Behandlung zu verbieten, von der ein Arzt nach gründlicher Untersuchung des Patienten meint, daß sie anschlagen könnte.«
    »Sie verbieten nichts?«
    »Das entspricht meiner erklärten Überzeugung.«
    »Auch die Lobotomie nicht?«
    »Ein schwer gestörter und zur Gewalttätigkeit neigender Patient kann durch diese Gehirnoperation manchmal befähigt werden, wieder ein annähernd normales Leben zu führen.« Er stand auf. »Ich werde Sie jetzt durch die Stationen führen.« Es herrschte Stille in der Klinik, aber keine vollkommene Ruhe.
    Die meisten Patienten lagen im Bett und schliefen den empfindungslos ruhigen Schlaf, den Medikamente auslösen.
    Ein kleiner Krankensaal lag im Halbdunkeln. Hier lagen sechs Schläfer, die für eine Woche betäubt worden waren. Das war, erklärte Dr. Wieczorek, die vorbereitende Behandlung, die allen neu aufgenommenen Patienten zuteil wurde. Der Geruch von Desinfektionsmitteln überlagerte die unangenehmen Gerüche, die von auf engem Raum zusammengedrängten warmen Leibern ausgehen. Er ging zum Fenster und öffnete die Verdunkelung einen Spaltbreit, so daß sie die schlafenden

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    Patienten sehen konnten. Draußen, sah sie, schneite es jetzt heftiger als vorhin, Schnee ränderte die Bäume, und vorüberfahrende Autos ließen schwarze Striche auf der Straße zurück. Dr. Wieczorek glättete das Bettzeug. Manchmal, scherzte er, dauerte es eine Woche oder zwei, bis ihre Dokumente ihnen nachfolgten. Die Räume waren alle vom Boden bis zur Decke weiß gekachelt. Nahezu mitleidlos spiegelte die glänzende harte Oberfläche die grauen Wolldecken. Ein Patient mit aschgrauem Gesicht starrte sie ausdruckslos an. Fiona hatte das schuldbeladene Gefühl, hier nichts zu suchen zu haben, das alle Gesunden in Gegenwart von Kranken befällt. Wieczorek verdunkelte das Fenster wieder. Wie als Reaktion darauf ertönte ein erstickter Schrei, doch gleich darauf war wieder alles ruhig. Unten war ein großer Aufenthaltsraum, wo ein halbes Dutzend Patienten in Metallstühlen saßen mit Decken auf den Knien. Zwei von ihnen, beide

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