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Gelinkt

Gelinkt

Titel: Gelinkt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Len Deighton
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feste Stimme und onkelhafte Art wirkten sofort entspannend auf sie, wie auch seine Bereitwilligkeit, über die Bürokratie zu spotten, mit der er dauernd zu kämpfen hatte und die er so selten besiegte. »Kaffee?«
    »Nein, danke«, sagte Fiona. Durch die Bereicherung der Einrichtung um einen Orientteppich und eine alte Uhr, die die Stunden schlug, war versucht worden, das strenge, kleine Büro wohnlicher zu machen.
    »Tee? Tee mit Milch?« Er lächelte. »Das war das einzige,

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    was ich als Kind von den Briten wußte: wie sie kalte Milch in ihren Tee gießen und ihn damit verderben. Nein? Na schön, dann werden wir mal sehen, daß wir Sie mit unserer Institution vertraut machen. Viel zu besichtigen gibt es im Gebäude nicht.
    Wir haben gegenwärtig dreiundzwanzig Patienten, von denen ich einen in ein, zwei Monaten hoffe nach Hause schicken zu können. Manche, fürchte ich, werden nie nach Hause zurückkehren, aber bei Fällen der klinischen Psychiatrie zögere ich jedesmal zu sagen, daß es keine Hoffnung mehr gibt.« Er lächelte sie an. »Wissen Sie, was wir hier machen?«
    »Nein«, sagte sie.
    Er drehte sich eben weit genug, um aus einem Regal einen großen Glasbehälter zu nehmen, in welchem ein Gehirn in trübem Formalin lag. »Sehen Sie sich das an«, sagte er. »Das ist das Gehirn des ›Großen Gustav‹, der in den dreißiger Jahren im Varieté auftrat. Jeder aus dem Publikum konnte ihm Fragen stellen, wie etwa die nach dem Gegner Max Schmelings 1933.
    Wie aus der Pistole geschossen antwortete er dann, daß es Max Baer war, der ihn in New York City in der zehnten Runde durch technisches K. o. besiegte.«
    »Das ist eindrucksvoll«, sagte Fiona.
    »Ich interessiere mich für den Boxsport«, erklärte Wieczorek. Er klopfte an den Glasbehälter. »Aber der ›Große Gustav‹ konnte jede Frage beantworten. Er hatte ein Gehirn wie ein Konversationslexikon.«
    »Warum ist es hier?«
    »Es gibt in der Sowjetunion noch immer eine kleine, aber einflußreiche Gruppe von Medizinern, die glauben, man könne, wenn man ein Gehirn in Scheiben schneidet, der Natur einige von ihren Geheimnissen entreißen. Lenins Gehirn wurde in Scheiben geschnitten und unter dem Mikroskop studiert. Das von Stalin auch. Und eine Menge minderer Gehirne vor und nach diesen.«
    »Was haben sie gefunden?«

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    »Das scheint ein Staatsgeheimnis zu sein.«
    »Sie meinen, daß nichts entdeckt worden ist?«
    »Das habe ich nicht gesagt, oder?« Er klopfte noch einmal an das Gefäß. »Aber vor dieser Entwürdigung habe ich Gustav bewahrt. Gustavs Hirn ist nicht angetastet worden.«
    »Aber wo haben Sie es her?«
    »Es war bis zum Ende des Krieges in der Charite. Alle Krankenhäuser haben einen Raum voll von solchen Sachen.
    Als die Infanterie der Roten Armee während der Kämpfe 1945
    in die Charité eindrang, fanden sie in den Kühlschränken der Anatomie dort noch die Leichen der Generäle und der anderen großen Tiere, die nach dem erfolglosen Attentat auf Hitler 1944 gehängt worden waren. Die Leichen waren aus dem Plötzenseer Gefängnis dorthin geschafft worden, ohne Anweisung, was damit geschehen sollte. Und dann war da auch das Medizinische Museum mit allem möglichen anderen Zeug, aber das Oberkommando der Roten Armee mißbilligte das, und die Sammlungsgegenstände wurden auf andere Institutionen verteilt. Wir haben Gustavs Gehirn bekommen.« Er schüttelte das Glas, so daß sich das Gehirn bewegte. »Die Verteilung dieser Sachen hat eine Menge alberner Gerüchte entstehen lassen. So sagt man, Ernst Röhms Herz sei dem
    Universitätskrankenhaus in Leipzig zugeschickt worden, und zwar in einem Reagenzglas.« Er stellte den Behälter wieder ins Regal. »Sie müssen verzeihen, Mediziner neigen zu einem etwas makabren Humor.«
    »Wie sind die Heilungsaussichten Ihrer Patienten, Herr Dr.
    Wieczorek?«
    »Uns werden nur die aussichtslosen Fälle geschickt«, sagte Wieczorek. »Patienten, für die man schon irgendwo anders nichts tun konnte. Die meisten können wir nur ruhigstellen.
    Ganz ähnlich eigentlich wie Sie beim Sicherheitsdienst, finden Sie nicht? Zieht eine derartig aussichtslose Tätigkeit einen irgendwie an?«

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    »Diese Frage zu beantworten, sind Sie sicherlich besser qualifiziert als ich«, sagte Fiona.
    »Ich kann für Sie nicht antworten, aber was mich und viele meiner Kollegen angeht, habe ich den Verdacht, daß die Beschäftigung mit aussichtslosen Fällen uns als Entschuldigung der Erfolglosigkeit

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