Gelinkt
studierte er sie stundenlang, wie andere Leute Bücher lesen. Nicht nur Karten von Gegenden, die er kannte, von Ländern, die er besucht hatte oder eines Tages würde besuchen müssen,
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sondern jede Art von topographischen Karten. Als ihm einmal jemand den Times-Atlas des Mondes schenkte, nahm Max den gleich mit in den Urlaub, und zwar als einzige Lektüre.
»Wir müssen am südlichen Ufer entlang«, sagte Bernard,
»und nicht zu dicht am Wasser, wenn wir nicht riskieren wollen, plötzlich in der Datscha irgendeines Bonzen vom Zentralkomitee zu landen.«
»Das Beste wäre vielleicht ein Boot«, schlug Max vor und gab ihm den Feldstecher zurück.
»Laß uns erst mal ein bißchen näher dran sein«, sagte Bernard, der sich von dieser Idee nicht viel versprach. Ein Boot war in jeder Hinsicht eine allzu unsichere Kiste. Bernard war nicht sehr erfahren im Umgang mit einem Paar Ruder, und daß er von Max keine Hilfe erwarten durfte, war klar. Im Winter würde es zudem vielleicht auffallen, wenn ein Boot von seinem Liegeplatz verschwand, und selbst bei spiegelglatter Wasserfläche – was nicht der Fall sein würde – hätte er keine Lust, weithin sichtbar über den See zu gondeln. Die Idee war typisch für Max, der eine Vorliebe für verwegene Methoden und damit in der Vergangenheit nicht selten Erfolg gehabt hatte. Bernard hoffte, Max würde diesen Einfall vergessen, ehe sie das Ufer des Sees erreichten. Das war noch eine weite Wanderung. Sie schien anstrengend zu werden, und bald würde der Morgen dämmern. Bernard hätte gern etwas über die beiden Männer gesagt, mit denen sie sich gestern nachmittag hätten treffen sollen, aber er hielt den Mund. Da war nichts zu sagen; die beiden waren geschnappt worden. Max und Bernard konnten von Glück sagen, davongekommen zu sein. Jetzt kam es nur noch darauf an, daß sie es zurück schafften. Schafften sie es nicht, war die ganze Operation Reisezug für die Katz gewesen. Über drei Monate Planung, Gefahren und harte Arbeit verschwendet. Bernards Vater leitete die Operation, und er wäre untröstlich. Bis zu einem gewissen Grad hing der gute Ruf seines Vaters von ihm ab. Bernard stand auf und klopfte
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sich die Erde von seiner Hose. Sie war sandig und roch merkwürdig muffig.
»Stinkt, was?« sagte Max, der irgendwie seine Gedanken zu lesen schien. »Diese Norddeutsche Ebene. Verdammt hügelig für eine Ebene, würde ich sagen.«
»Die Deutsch-polnische Ebene wurde sie genannt, als ich zur Schule ging«, sagte Bernard.
»Na ja, stimmt, Polen ist ein ganzes Stück näher hier rangerückt, seitdem ich Geographieunterricht gehabt habe«, sagte Max und lächelte über seinen kleinen Scherz. »Meine Frau Helma wurde nicht weit von hier geboren. Das heißt meine Ex-Frau. Sobald sie den guten alten US-Reisepaß kriegte, ist sie ja gleich weg nach Chicago zu ihrem Cousin.«
Als Bernard Max auf die Füße half, sah er das Tier. Es lag lang ausgestreckt auf dem Stück nackter Erde hinter dem Baum, an dem er gelehnt hatte. Sein Fell war mit Schlamm verkrustet, und es war steif gefroren. Er sah sich den Kadaver näher an. Es war der eines ausgewachsenen Hasen, der mit dem Lauf in eine primitive Drahtschlinge geraten war. Die arme Kreatur war sicherlich qualvoll gestorben, hatte den gefangenen Lauf bis auf den Knochen abgenagt, zuletzt schien’s ihr an Energie oder der verzweifelten
Entschlossenheit, die für ein solches Opfer erforderlich ist, gefehlt zu haben.
Max kam und sah sich an, was Bernard gefunden hatte.
Keiner der beiden Männer sagte ein Wort. Max hielt den Fund für ein schlechtes Omen, und Max hatte immer viel auf Vorzeichen gegeben. Noch immer ohne zu sprechen, machten sie sich auf den Weg. Sie waren jetzt müde, und während der fünfminütigen Rast, die sie hatte Atem schöpfen lassen, waren ihre Muskeln steif geworden. Max hatte Mühe, seinen Arm hochzuhalten, ließ er ihn aber hängen, klopfte er und blutete mehr. »Warum ist er nicht zurückgekommen?« meinte Max, als der Weg breiter wurde und Bernard neben ihm ging.
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»Wer?«
»Der Wilderer. Warum ist er nicht zurückgekommen, um nach seinen Fallen zu sehen?«
»Willst du sagen, daß wir schon in der Sperrzone sind? Es war doch aber nirgends ein Zaun, ich habe auch keine Warnschilder gesehen.«
»Die Ortsansässigen wissen, wo sie ist«, sagte Max.
»Fremde stolpern hinein.« Er knöpfte seinen Mantel auf und berührte die Waffe. Dafür gab es keinen praktischen Grund außer dem,
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