Gelinkt
daß Max Bernard klarmachen wollte, daß er diesen langen Weg nicht zurückgelegt hatte, um sich am Ende dem ersten besten, der ihn zu stellen versuchte, zu ergeben. Max hatte sich schon früher seinen Weg in brenzligen Situationen freigeschossen: zweimal. Manche Leute behaupteten, daß diese beiden höchst bemerkenswerten Glücksfälle ihm ganz falsche Begriffe gegeben hätten von den Möglichkeiten, die einer normalerweise hatte, wenn er gestellt wurde. Max dachte, daß die Briten, mit denen er zusammenarbeitete, viel zu schnell bereit waren, ihren Leuten zu empfehlen, die Hände hoch zu nehmen. Er hielt für einen Augenblick inne, um noch einmal nach dem See Ausschau zu halten. Wenn sie anstatt auf diesem Höhenweg im Tal weitergingen, würden sie gewiß leichter und schneller vorwärtskommen. Aber da unten gab es Dörfer und Bauernhöfe und Hofhunde, die bellen würden. Auf den Höhenwegen lief man diesbezüglich weniger Gefahr, aber auf dem Eis an den Nordhängen kam man oft nur langsam voran, und die beiden Männer hatten keine Zeit zu verlieren.
Der nächste Hügel war höher, und dahinter würde der Weg ins Besental hinabführen und dieses kreuzen. Vielleicht wäre es besser, es irgendwo anders zu durchqueren. Wenn die Ortspolizei alarmiert war, hatte sie gewiß einen Posten auf die Steinbrücke gestellt, wo der Fußweg in die Talstraße mündete.
Er erforschte den Gipfel des Hügels jenseits des Flusses. Den würden sie nie schaffen. Die Ortsansässigen nannten diese
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Hügel »Berge« , wie gewöhnlich Leute ihre Hügel Berge nennen, wo es kein Gebirge gibt. Er fing an, die Leute zu verstehen. Wenn man diese Hügel rauf und runter wanderte, wurden sie sehr schnell zu Bergen. Alles war relativ: Je älter er würde, desto gebirgiger würde die Welt.
»Wir werden versuchen, an dieser breiten Stelle, wo die Steine liegen, über den Besen zu gehen«, sagte Max. Bernard grunzte begeisterungslos. Wenn sie mehr Zeit gehabt hätten, wäre es für Max selbstverständlich gewesen, die Entscheidung zu besprechen. Er hätte Bernard das Gefühl vermittelt, daß auch er beteiligt wurde, aber jetzt war keine Zeit für derartige Höflichkeiten.
Während des Abstiegs durch Geröll und dürres Farnkraut stolperten sie wiederholt. Einmal rutschte Max so weit, daß er fast gestürzt wäre. Er stieß bei dem Versuch, Fuß zu fassen, mit dem verwundeten Arm irgendwo an, und der Schmerz war so heftig, daß er leise wimmerte. Bernard half ihm auf. Max sagte nichts. Er dankte ihm nicht, mußte seine Energie sparen. Max hatte die Stelle sorgfältig ausgesucht. Die Mauer war von ihrer östlichen Seite her überall nur durch eine breite verbotene Zone zu erreichen. Wer sich der Grenze auch nur bis auf fünf Kilometer nähern wollte, brauchte schon einen Sonderausweis.
Innerhalb der Sperrzone gab es weder Baum noch Strauch von hinreichender Größe, auch nur ein Kind zu verbergen.
Landwirtschaftliche Arbeiten in der Sperrzone durften nur während des Tages und unter ständiger Aufsicht seitens der Wärter in den Kontrolltürmen durchgeführt werden. Diese Kontrolltürme waren von verschiedener Höhe und Gestalt, einerseits niedrige »Beobachtungsbunker«, andererseits hohe modernistische Betonkonstruktionen, die den Kontrolltürmen auf Flughäfen ähnlich sahen.
Doch in der Sperrzone jenes Stücks des Grenzverlaufs, das im NATO-Code den Namen Piecemeal führt, hatte das Glück oder Pech, das über der Geschichte waltet, der DDR
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zugemutet, irgendwie mit diesem See fertig zu werden. Es war dieser See an einer Stelle der Mauer, wo eben damals ausgedehnte Reparaturen durchgeführt wurden, der bei jener Sitzung in dem sogenannten SECRET ROOM Max Busbys Aufmerksamkeit erregt hatte.
Dieser Grenzabschnitt stellte das Regime vor schwierige Probleme. Die Elbe und der kleine Nebenfluß Besen, der hier in sie mündete, sowie schließlich der Mausesee trugen alle miteinander dazu bei, daß der Boden, auf dem hier die Mauer stand, fast überall sumpfig war. Gleichviel, wie sorgfältig man die Fundamente isolierte, die Mauer hielt nicht. Jetzt wurden auf einer Strecke von fast drei Kilometern an sieben verschiedenen Stellen Reparaturen durchgeführt. Die Schäden mußten erheblich sein, sonst hätten sie bis zum Sommer gewartet. War man einmal durch die Sperrzone, hatte man das Schlimmste noch vor sich. Den tatsächlichen Grenzverlauf bezeichnete ein hoher Zaun, nicht stabil genug, als daß man ihn hätte übersteigen
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