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Gelinkt

Gelinkt

Titel: Gelinkt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Len Deighton
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nicht verstanden, die zu Hubert Renns Psyche gehörten. Später erfuhr sie, daß Renn hatte mit ansehen müssen, wie seine Mutter von russischen Soldaten vergewaltigt und sein Vater bewußtlos geschlagen wurde, während jener denkwürdigen

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    Tage des Jahres 1945, als der Tagesbefehl des
    Oberkommandierenden der Roten Armee lautete: »Berlin gehört euch.« Später bekam sie mit, wie Hubert seine russischen »Freunde« mit dem altertümlichen und wenig freundlichen Wort »Panje« nannte.
    Sie wusch einen Kopfsalat und schnitt eine Bockwurst in dünne Scheiben. Am meisten fehlten ihr frische Früchte. Sie konnte noch immer nicht verstehen, weshalb solche Sachen so knapp waren. Sie hatte eine noch in Privatbesitz befindliche Bäckerei in der Nähe ihres Büros entdeckt, und das Brot war gut. Sie mußte auf ihr Gewicht achten, alles, was immer reichlich zu haben war, machte dick.
    Es war ein nüchterner kleiner Raum, in dem man gut nachdenken und arbeiten konnte. Die Wände waren in einem hellen Grauton gestrichen, und es gab nur drei Bilder: einen Stich, der einen römischen Kaiser darstellte, eine sepiabraune Fotografie eleganter Damen um 1900 und einen Farbdruck von Kirchners Pariser Platz. Die Rahmen, ihr verwahrloster Zustand, wie auch die Themen ließen darauf schließen, daß die Bilder wahllos der Abstellkammer irgendeiner Behörde entnommen waren. Aber sie war dennoch dankbar für diese kleine Aufmerksamkeit. Ihr Schlafzimmer war nicht mehr als ein Alkoven hinter einem Vorhang. Das alte Bettgestell aus Eisenrohren war cremefarben gestrichen und erinnerte sie an ihr Bett im Internat. Überhaupt erinnerten sie viele Aspekte des Lebens in der DDR – von den unzähligen kleinlichen Verboten, die da zu beachten waren, bis zu der eintönigen Ernährung – an das Internat. Aber sie sagte sich immer wieder, daß sie das Internat überlebt hatte und also auch dies hier überleben würde. Als sie an jenem Abend zu Bett ging, fand sie keinen Schlaf. Seit sie hier angekommen war, hatte sie noch keine Nacht festen, natürlichen Schlaf gehabt. Diese schreckliche Begegnung mit Bernard war wirklich ein grauenhafter Anfang für ihr neues Leben gewesen. Nun mußte

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    sie jede Nacht an ihn und die Kinder denken. Sie überraschte sich bei der Frage, warum es ihr an wahrer angeborener und instinktiver Mutterliebe fehlte. Warum hatten die Säuglinge sie nie so entzückt, daß sie sie, wie andere Mütter es taten, am liebsten Tag und Nacht im Arm gehalten und ans Herz gedrückt hätte? Und war die Abwesenheit der Kinder deshalb jetzt so quälend für sie, weil sie jene ersten Jahre mit ihnen so unachtsam vergeudet hatte? Sie hätte alles gegeben für die Möglichkeit, noch mal von vorne anzufangen. Sie wieder als Babys zu sehen, sie zu herzen und zu füttern, ihnen vorzulesen und die Nonsensspiele mit ihnen zu spielen, die Bernards Mutter so gut kannte.
    Manchmal, tagsüber, wurde der chronische Schmerz, von ihrer Familie getrennt zu sein, leicht betäubt durch die Anstrengung, den an sie gestellten überwältigenden Anforderungen gerecht zu werden. Den Anforderungen an ihren Intellekt – die Lügen und falschen Loyalitäten – war sie gewachsen, aber sie hatte nicht damit gerechnet, durch emotionale Belastungen so verletzlich zu werden. Bret hatte, wie ihr jetzt einfiel, einmal scherzend gesagt, daß Frauen natürlich für ein Doppelleben besser befähigt seien als Männer.
    Von jeder Frau, hatte er gesagt, werde erwartet, daß sie von einem Augenblick zum anderen Hure oder Matrone, Gefährtin, Mutter, Dienerin oder Freundin sein könne. Zwei Menschen zu sein sei also eine Kleinigkeit für jede Frau. Das war typischer Rensselaerscher Quatsch. Sie knipste das Licht an und griff nach den Schlaftabletten. Tatsächlich wußte sie, daß sie niemals wieder die Person sein würde, die sie noch vor kurzem gewesen war. Der Punkt, von dem aus sie noch hätte umkehren können, war schon überschritten.

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13
    Whitelands, England, Juni 1983
    »Nein, Dicky, ich höre dich vollkommen klar«, sagte Bret Rensselaer, die Hörmuschel ans Ohr drückend, und wendete sich mit einem Achselzucken an Silas Gaunt, der ihm gegenüber am Nebenanschluß mithörte. Dicky Cruyer, der German Stations Controller, rief aus Mexiko-Stadt an, und die Verbindung war nicht gut. »Du hast alles vollkommen verständlich dargestellt. Ich sehe nicht ein, weshalb wir’s noch einmal durchgehen sollten. Ja, ich werde den Director-General sprechen

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