Gelöscht (German Edition)
mich«, sagt er lachend. Der Bus fährt ab und er lehnt sich zu mir. »Jetzt ist ein guter Zeitpunkt«, flüstert er so leise, dass ich mich noch näher zu ihm beugen muss, was mir sehr gelegen kommt: Sein Körper strahlt Wärme aus und meiner wird mit jeder Sekunde kälter.
»Ein guter Zeitpunkt wofür?«
Sein Lächeln erstirbt. »Ich hab mich ein wenig umgehört, ein paar Fragen gestellt.«
»Worüber?«
»Tori ist nicht die Erste, die verschwunden ist. Es gab auch schon andere Slater an unserer Schule, die eines Tages einfach nicht mehr aufgetaucht sind. Ohne Erklärung.«
»Zurückgegeben«, flüstere ich und ein kalter Schauder läuft mir über den Rücken. Ben legt einen Arm um meine Schulter.
»Das ist nicht alles. Es betrifft auch noch andere, die nicht geslated wurden. Wie die drei, die am Freitag aus der Versammlung gezogen wurden. Auch sie sind seitdem nicht mehr aufgetaucht. Und so etwas passiert nicht zum ersten Mal.«
Normale Schüler verschwinden auch? Bei der Versammlung wurden drei von Lordern aus der Menge herausgegriffen. Sie müssen sie mitgenommen haben. Mein Magen dreht sich.
»Aber warum?«
»Bei den Jungen kann ich es verstehen. Ich habe gehört, dass einer mit einem Mobiltelefon erwischt worden ist. Und der andere war ein richtiger Idiot, der immer in Schlägereien und Schwierigkeiten geraten ist. Vielleicht war er sogar in einer Gang?«
»Und das Mädchen?«
Ben zuckt mit den Schultern. »Sie hat nie irgendetwas falsch gemacht. Aber sie war ziemlich schlau, hat die Lehrer komische Sachen gefragt, in Geschichte zum Beispiel. Warum bestimmte Dinge getan wurden oder eben nicht.«
Sie hat komische Fragen gestellt. Wie Ben.
»Ben! Du darfst nicht versuchen, noch mehr herauszufinden. Sonst bist du der Nächste.«
»Aber was ist mit Tori? Wenn niemand nach ihr fragt, wird sich keiner um ihr Verschwinden kümmern. Verstehst du denn nicht? Es hätte genauso gut dich treffen können oder mich. Ich muss wissen, was mit ihr geschehen ist.«
»Ich will nicht, dass dir etwas zustößt«, flüstere ich und er zieht mich näher an sich heran. Schlamm und Schweiß vermischen sich, sein Herz schlägt unter meinem Ohr.
Ein paar der Jungen machen Knutsch-Geräusche und Ferguson dreht sich um. »Im Bus wird nicht rumgemacht!«, brüllt er und ich setze mich gerade hin. Doch Ben hält immer noch meine Hand. Genau wie er immer noch an Tori festhält.
Eine Überraschung: Nicht nur Mum, sondern auch Dad wartet auf mich, als der Bus wieder an der Schule ankommt. Ich winke Ben und den anderen zum Abschied und gehe zum Auto, schmutzig, erschöpft und mit verbundenem Knie. Alles an meinem Körper tut so weh, dass es mich größte Mühe kostet, einen Fuß vor den anderen zu setzen.
Mum springt aus dem Wagen. »Was, um Himmels willen, ist mit dir passiert?«
»Mir geht’s gut. Schau!« Ich zeige ihr mein Levo: 6,6. Selbst nach dem aufwühlenden Gespräch im Bus hält mich der Endorphinschub vom Laufen offenbar noch bei Laune.
»Aber wie du aussiehst!« Mum marschiert aufgebracht zu Ferguson hinüber.
Dad steigt ebenfalls aus dem Auto und mustert mich von oben bis unten. »Dann hattest du also Spaß?« Er grinst.
»Und ob!« Ich lächle zurück und lehne mich ans Auto, weil ich fürchte umzukippen, wenn ich es nicht tue. Ich habe Dad seit unserem Zwischenfall in der Küche nicht mehr gesehen, weil er danach praktisch durchgängig beruflich unterwegs war. Aber jetzt sieht er glücklich und entspannt aus und hat überhaupt keine Ähnlichkeit mehr mit dieser düsteren Gestalt, die mich ausgefragt hat, weil ich vor Schreck beinahe gestorben wäre, als ich mitten in der Nacht überrascht wurde.
»Wie ist es gelaufen?«
»Ich war die Schnellste.«
Er johlt und hebt die Hand. »High five?«
»Was?«
»Heb die Hand, so wie ich.« Das tue ich und er schlägt mit seiner Hand ein. Dann deutet er auf Mum und zwinkert. »Es wird ihr nicht gefallen, wenn du so weitermachst. Sie hat wenig übrig für Schmutz und Blut.«
An diesem Abend ist Jazz zum Essen eingeladen. Amy lächelt ihn die ganze Zeit ziemlich dämlich an, Mum spielt den perfekten Drachen und Dad erzählt einen schlechten Witz nach dem anderen. Jazz reagiert sogar auf »Jason«, sieht insgesamt aus, als hätte er sich in sein Schicksal ergeben, und antwortet wenig, außer »ja bitte« und »danke«. Ich konzentriere mich einfach aufs Essen.
»Du bist aber hungrig heute«, kann sich Mum nicht verkneifen, als ich mir eine zweite Portion Braten und
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