Gelöscht (German Edition)
ist so kalt, dass der Atem um mein Gesicht einen weißen Nebel bildet. Ich schlinge zitternd meine Arme um mich, als ich auf den Bus warte, der mich zum Geländetraining bringen soll. Immer mehr Schüler versammeln sich und auch ein Lehrer mit einem Klemmbrett in der Hand gesellt sich zu uns.
Der Bus kommt vor der Schule zum Stehen und dahinter entdecke ich ein Auto: Es ist Ben. Ich warte auf ihn, während die anderen in den Bus steigen.
Ben lächelt überrascht. »Ich wusste gar nicht, dass du auch läufst«, sagt er.
Es war das schreckliche Gefühl gestern, im Krankenhaus eingeschlossen zu sein, das den letzten Ausschlag gegeben hat, heute joggen zu gehen. Ich weiß, warum Ben läuft. Ich bin auch gerannt, auf den Laufbändern im Trainingsraum des Krankenhauses. Endorphine werden massenhaft ausgeschüttet, wenn man bis zur Erschöpfung läuft, bis die Muskeln schmerzen. Dann kommt man in eine Zone, in der man nicht mehr fühlt, was man seinem Körper antut, sondern nur noch von einem Hochgefühl durchströmt wird und nie mehr aufhören möchte. Alles in einem wird ruhig und klar, kühl und konzentriert.
Und ein kleines bisschen will ich vielleicht auch wegen meines Traums laufen, bei dem ich nicht mehr weiterkomme und zusammenbreche. Ich will vor dem, was mich verfolgt, wegrennen können.
Mum musste ich erst davon überzeugen, dass es mir ernst ist und dass ich wirklich zum Training will. Und ich habe sie an Dr. Lysanders Rat erinnert, dass sie mich auch Dinge allein unternehmen lassen soll. Amy hat während meines Monologs nur verschmitzt gegrinst und eine Bemerkung zu Ben gemacht, als Mum gerade nicht hinhörte.
Der Leichtathletik-Trainer, Mr Ferguson, sieht mich seltsam an, als wir in den Bus einsteigen. »Nicht noch ein Groupie«, sagt er und verdreht die Augen in Bens Richtung. Ein paar der älteren Jungs grinsen, und ich verstehe langsam, was er meint.
»Ich kann laufen«, stoße ich ärgerlich hervor – auch um von der Röte abzulenken, die in meine Wangen steigt.
»Na, davon lassen wir uns gleich gern überzeugen, Kleine«, lacht er.
Ein Dutzend Jungen und fast ebenso viele Mädchen sitzen im Bus. Sie scheinen sich alle zu kennen. Bei ihrem Anblick wird mir klar, dass ich tatsächlich »klein« bin – kleiner als alle anderen.
Ich schlüpfe auf einen Fensterplatz und Ben setzt sich neben mich. Als der Bus abfährt, beugt er sich zu mir und flüstert mir ins Ohr: »Stimmt das denn?«
»Was?«
»Bist du nur hier, weil ich hier bin?«
»Nein!«, erwidere ich wütend und puffe ihn in den Arm.
»Au!« Er reibt sich theatralisch über die Haut. »Ich hatte irgendwie gehofft, dass es so ist.«
Verwirrt sehe ich weg. Meint er das wirklich? Was ist mit Tori? Ich weiß nicht, was ich sagen soll, also schweige ich.
Die 10-Kilometer-Laufstrecke ist ein Geländelauf durch die Umgebung von Chiltern: Sie folgt einer Reihe von Fußwegen über Felder und durch Wälder und hat ein paar Hügel, Gräben und Bäche, die man überwinden muss. Es ist völlig anders als auf dem Laufband, und ich beginne, mich zu fragen, wie ich wohl mit dem Parcours klarkommen werde. Alle anderen sind diese Strecke schon vorher gelaufen. Ferguson zeigt mir eine Karte und sagt, dass es Streckenkennzeichnungen gibt – kleine orangefarbene Flaggen –, den ganzen Weg entlang. Ich überfliege die Karte: Ich brauche nur Augenblicke, um mir alles einzuprägen.
Die Jungs starten zuerst: Ich sehe ihnen zu, wie sie quer über die Felder lossprinten. Wir Mädchen müssen zehn Minuten warten. Ich dehne mich ein wenig und wärme mich auf.
Ferguson kommt zu mir herüber. »Du hast an keiner der anderen Trainingsstunden teilgenommen.«
»Nein. Ich bin erst seit letzter Woche an der Schule, ich konnte nicht.«
»Na gut. Dann pass auf, wohin du trittst, und sieh zu, dass du deinen Rhythmus findest. Zehn Kilometer sind nicht gerade eine kurze Strecke. Ich bekomme jedes Mal mächtig Ärger, wenn ich einen Krankenwagen rufen muss.«
»Ihre Sorge rührt mich«, sage ich.
Überraschung blitzt in seinen Augen auf und er lacht. »Ha! Du bist in Ordnung. Also, dann zeig mal, was du kannst, okay?«
Ein paar der Mädchen sehen weniger erfreut aus.
Mr Ferguson gibt uns den Startschuss.
Anfangs laufen wir über die Felder. Weil ich nicht an den unebenen Boden gewöhnt bin, gehe ich es langsam an und finde schnell meinen Rhythmus. Wir verteilen uns und ich lande irgendwo im hinteren Mittelfeld. Von den Jungen ist nichts mehr zu sehen.
Die Sonne,
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