Gelöscht (German Edition)
alles zu ändern. Für immer.
Aber so viele Dinge hängen an meiner Entscheidung. Ich habe furchtbare Angst, dass dieser Klick nur dazu führen würde, dass mich die Lorder abholen und in einen ihrer schwarzen Vans werfen. Dass ich verschwinde und mit mir etwas gemacht wird, gegen das das Slating ein Kinderspiel ist. Und ich habe Angst, dass, wer auch immer nach Lucy sucht, enttäuscht ist, wenn er mich sieht, oder ich selbst denjenigen nicht mögen werde.
Aber hinter all diesen vernünftigen Argumenten steht etwas Dunkles, etwas Verborgenes. In meinem Bauch gibt es eine Gewissheit: Ich will nicht wissen, warum ich als vermisst gemeldet wurde, weil ich mir ziemlich sicher bin, dass die Regierung mich zu Recht geslatet hat. Irgendetwas stimmt nicht mit mir. Ich kann es tief in meinem Inneren spüren, und ich will nicht näher ergründen, warum das so ist.
Sch.
Dinge, die ich eigentlich nicht wissen kann, scheinen knapp außerhalb meiner Reichweite zu liegen, knapp jenseits meines Verständnisses. Das muss der Grund dafür sein, dass sie mich im Krankenhaus unter Beobachtung gestellt haben: Rückfälle. Dr. Lysander hat mich einmal gerettet, aber wenn erneut jemand etwas merkt, wird der Abbruch erfolgen.
Sei ruhig. Geduld.
Wenn Aiden jemanden sucht, der Aufmerksamkeit auf sich lenken möchte, ist er bei mir an der falschen Adresse.
Ich muss schweigen wie ein Grab.
Als wir uns verabschieden, hält Ben meine Hände fest. Er betrachtet mich mit einem Blick, dem ich immer zustimmen möchte. Und ich will in Bens Augen nie Enttäuschung über mich oder meine Taten sehen.
Jetzt gerade versucht Ben, mich zu überzeugen. »Kyla, ich weiß, das alles ist beängstigend. Aber wir könnten wirklich etwas bewirken, etwas ändern. Denk an Tori und an Phoebe. Und auch an Gianelli. Versprich mir, dass du es dir überlegen wirst.«
Ich verspreche es, denn ich kann sowieso an nichts anderes denken. Ben nimmt mich ganz fest in seine Arme und ich wünsche mir so viele Dinge: dass wir uns immer so festhalten und dass wir einen Ort ohne Lorder finden könnten, ohne Slating, ohne Levos. Oder dass ich zumindest Ja sagen und das machen könnte, was er von mir verlangt.
Aber das geht einfach nicht.
Ich grüble tatsächlich über unser Gespräch nach, bis spät in die Nacht. Es lässt mich auch den ganzen nächsten Tag über in der Schule nicht los, und ich bin so in Gedanken versunken, dass ich meine Umgebung überhaupt nicht wahrnehme.
Aidens Worte beschäftigen mich besonders. Er könnte recht haben, dass derjenige, der Lucy bei der MIA gemeldet hat, mich in diesem Augenblick vermisst. Vielleicht ist es meine Mutter, mein Vater oder sogar meine Brüder und Schwestern? Sogar dieses graue Kätzchen könnte sich nach mir sehnen.
Aber im Gegensatz zu Lucy ist diese imaginäre Familie gesichtslos. Sie sind für mich nicht real und ihre Gefühle sind abstrakt und weit weg. Trotzdem kann ich mir den Schmerz vorstellen und wie es ist, nicht zu wissen, was mit jemandem geschehen ist, den man liebt. Selbst bei Tori und Phoebe, die ich kaum kannte, und Letztere mochte ich noch nicht mal besonders, geht es mir so: Es ist die Ungewissheit, wo sie sind und was mit ihnen passiert ist. Nein, mit Phoebe ging es mir
vorher
so – denn jetzt weiß ich ja über ihr Schicksal Bescheid.
Vielleicht kann ich zumindest für Phoebe etwas tun.
»Ich gehe laufen«, verkünde ich am nächsten Tag im Auto auf dem Heimweg von der Schule.
»Aber wir wollten doch zusammen Hausaufgaben machen«, protestiert Amy und sieht Jazz fragend an.
»Ja und? Macht das doch. Ich bin zurück, bevor Mum da ist«, versichere ich ihr. Ziemlich schnell willigen die beiden ein, obwohl es gegen die Regeln verstößt, dass sie allein sind. Jazz erkundigt sich nach meiner Strecke und rät mir, mich von den Seitenstraßen fernzuhalten, wenn ich allein unterwegs bin. Ich versichere ihm, dass ich auf den Hauptstraßen bleiben werde, und das habe ich auch wirklich vor. Allerdings nur, bis ich zu der Gasse gelange, die zu Phoebes Haus führt.
Heute Vormittag haben wir im Englischunterricht unsere korrigierten Schulhefte zurückbekommen. Sie wurden eingesammelt, als Phoebe noch da war, und als ich heute ihr Heft in dem Stapel entdeckt habe, habe ich es schnell in meines geschoben. Auf der Innenklappe stand alles, was ich wissen musste: Phoebe Best, Old Mill Farm. Auf einer Karte in der Bibliothek konnte ich schnell herausfinden, dass die Farm nur ein paar Kilometer von unserem Haus
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