Gelöscht (German Edition)
Kühlschrank, statt in einem Rahmen an der Wand, und Mums Worte sind wieder spitz wie eh und je.
»Amy, du hast noch 20 Minuten, bis der Bus kommt, und du bist noch nicht halbwegs fertig.«
»Kann ich heute nicht mit Kyla zu Hause bleiben?«
»Nein, auf gar keinen Fall.«
»Wo ist Dad?«, frage ich.
»Auf der Arbeit natürlich. Wo ich auch sein sollte. Aber ich habe mir freigenommen, um mich um dich zu kümmern.«
Ich zähle kurz zwei und zwei zusammen: Amy geht zur Schule, Dad ist auf der Arbeit. Mum und ich sind also den ganzen Tag zusammen hier.
»Wann kann ich mit der Schule anfangen? Heute schon?«
»Nein.«
Amy erklärt es mir. »Du musst erst von deiner Betreuerin vor Ort beurteilt werden. Sie entscheidet, ob du bereit bist. Dann prüft dich die Schule, um herauszufinden, in welchen Jahrgang sie dich stecken können. Aber sie haben schon mal ein paar Bücher geschickt, die du lesen sollst.«
»Oh.«
»Die Betreuerin kommt heute Nachmittag vorbei, um dich kennenzulernen«, sagt Mum.
Ich schwöre mir, mich so friedlich und angepasst wie möglich zu geben.
Amy rennt aufgeregt nach oben, um ihre Schulbücher und ihre Schuluniform zu suchen. Sie ist in der letzten Klasse vor dem Abitur. Mit 19 hätte sie fertig sein sollen, um eine Ausbildung als Krankenschwester zu beginnen. Aber sie hat ein zusätzliches Jahr gebraucht, um den verpassten Stoff aufzuholen. Sie war 14, als sie geslated wurde. Ich bin jetzt 16. Wie viele zusätzliche Jahre werde ich brauchen?
»Du kannst den Abwasch machen«, sagt Mum.
»Was soll ich denn abwaschen?«
Sie verdreht die Augen.
»Das Geschirr.«
Ich stehe auf und schaue verwirrt auf unsere Teller und Tassen.
Sie seufzt. »Nimm das schmutzige Geschirr vom Tisch und stell es hier hin.« Sie zeigt auf die Arbeitsplatte neben der Spüle.
Ich trage einen Teller rüber und gehe zurück, um den nächsten zu holen.
»Nein! So brauchst du ja ewig. Stapel sie aufeinander. So.«
Sie legt die Teller aufeinander, zieht die Messer und Gabeln raus, legt sie auf den obersten Teller und stellt dann alles auf die Arbeitsfläche.
»Lass Wasser in das Becken. Und gib Spülmittel dazu, aber nur ein wenig.« Sie drückt ein paar Tropfen aus der Flasche in das dampfende Wasser.
Seifenblasen!
»Schrubb alles mit diesem Schwamm.« Sie fährt mit dem Schwamm über einen Teller. »Spül die Teller dann kurz unter dem Hahn ab und stell sie ins Abtropfsieb, so. Und beim nächsten machst du es genauso. Verstanden?«
»Ich glaube, schon.«
Ich stecke meine Hände in das heiße Wasser.
Das ist also der Abwasch.
Vorsichtig säubere ich einen Teller von den klebrigen Resten der Pfannkuchen mit Sirup, spüle ihn mit klarem Wasser ab und stelle ihn ins Abtropfsieb.
»Komm mal in die Gänge, sonst stehst du den ganzen Tag hier.«
Ich höre auf und drehe mich um.
»In was soll ich kommen?
»In die Gänge. Das bedeutet: Mach schneller.«
Teller, dann Tassen. Es ist gar nicht so schwer. Ich werde schneller, und Mum beginnt, alles mit einem Handtuch abzutrocknen. Amy stürmt die Treppe herunter, als ich gerade das Besteck abspüle.
Ich keuche auf und schaue nach unten: Eine dünne rote Linie läuft über das Messer, das ich in meiner rechten Hand halte.
Amy kommt angerannt. »Oh nein, Kyla!«
Mum dreht sich zu mir und schnalzt genervt mit der Zunge. Sie schnappt sich ein Stück Küchenpapier.
»Drück das darauf und blute mir nicht alles voll.«
Ich mache, was sie mir sagt. Amy reibt mir den Rücken und sieht auf mein Levo: 5,1.
»Tut es nicht weh?«, fragt sie.
Ich zucke mit den Schultern. »Ein bisschen«, antworte ich, und das ist die Wahrheit, aber ich ignoriere die stechende Hitze, die durch meine Hand pulsiert, und starre fasziniert auf meinen Finger. Helles Rot breitet sich in dem Küchenpapier aus, wird dann weniger und versiegt schließlich ganz.
»Nur ein Kratzer«, sagt Mum und zieht das Papier ab, um sich den Finger anzusehen. »Das kann sich die Betreuerin später anschauen. Es geht ihr gut, Amy. Lauf jetzt los, sonst verpasst du deinen Bus.«
Mum klebt gerade ein Pflaster auf meine Hand, als Amy zur Tür raussprintet.
Mum lächelt.
»Ich hab vergessen, das dazuzusagen, Kyla. Messer sind scharf. Fass sie nicht am spitzen Ende an.«
So vieles, an das man denken muss.
Später entfernt meine Betreuerin Penny das Pflaster von meinem Finger, um sich die Wunde anzusehen.
»Ich glaube, das muss nicht genäht werden«, sagt sie. »Ich desinfiziere es nur. Das könnte ein
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