Gemeinsam stark in Virgin River (German Edition)
sich doch bei einem theologischen Seminar einzuschreiben, war von George gekommen, der die Ausbildung als eine Kombination aus tiefer Seelenforschung, Entdeckung der eigenen inneren Spiritualität, Ausübung des persönlichen Glaubens, Lehre, Therapie, Gemeinschaft und Theater beschrieben hatte. Auf so eine Beschreibung konnte nur George kommen. „Das sind doch ohnehin deine Vorlieben“, hatte er gesagt. „Probiere es doch einfach mal aus.“
„Aber ich werde niemals predigen!“, hatte Noah gesagt.
„Das machen gar nicht so viele ordinierte Pfarrer“, hatte George ihm achselzuckend entgegnet. „Sie sind Therapeuten für die Kranken und Bedürftigen, Lehrer – und noch viel mehr, als ich auflisten könnte. Aber auf dem Weg zum Geistlichen könntest du so ganz nebenbei ein bis zwei Dinge über dich selbst erfahren. Das kann nicht schaden.“
Kurz gesagt: Er hatte ihn überzeugt. Während des Studiums fand Noah dann heraus, was es bedeutete, eine Gruppe von Gläubigen im Glauben zusammenzuhalten, mit ihnen zu kommunizieren, sie zu unterweisen und ihnen Hoffnung zu schenken. Ein Freund zu sein. Es gab nur eine Sache, die man von ihm verlangte, die er aber einfach nicht schaffte: seinem Vater zu vergeben.
Nur ein Jahr nach Noahs Ausbildung war seine Mutter gestorben. Sie war über Nacht von ihnen gegangen, nachdem sie im Alter von siebzig einen Herzinfarkt erlitten hatte. Noah war zur Beerdigung gefahren, obwohl er die Vorstellung, seinem Vater zu begegnen, furchtbar fand. Doch es war, soweit Noah sich erinnerte, auch das einzige Mal gewesen, dass er seinem Vater gegenüber das letzte Wort behalten hatte.
Jasper hatte gut hörbar für die Umstehenden zu ihm gesagt: „Siehst du, was man damit anrichtet, wenn man die Familie und den Pfad des Glaubens verlässt? Es hat deine Mutter umgebracht.“
Noah hatte ohne zu zögern geantwortet: „Du solltest wissen, dass Mutter und ich die ganze Zeit in Kontakt zueinander standen. Sie hat mich sogar zweimal besucht, obwohl ich nicht mehr zurückkommen wollte. Sie war immer für mich da, und wir haben uns sehr geliebt. In Wahrheit hat es sie umgebracht, dass sie bei dir geblieben ist.“
Der schockierte Gesichtsausdruck seines Vaters war unbezahlbar gewesen. Der kränkende Kommentar hatte Jasper tief getroffen. Es war ihm offenbar noch nie in den Sinn gekommen, dass seine Frau Geheimnisse vor ihm haben könnte. Vielleicht lag es auch einfach daran, dass er so wenig Notiz von ihr genommen hatte, dass ihm entgangen war, wie eng der Kontakt zwischen ihr und ihrem Sohn immer geblieben war. Die Testamentseröffnung konfrontierte Jasper mit weiteren Wahrheiten – Inez Kincaid hatte einen Treuhandfonds mit in ihre Ehe mit einem armen, zehn Jahre jüngeren Prediger gebracht. Ihr persönliches Vermögen hatte Jasper geholfen, sich eine große Gefolgschaft zu verschaffen, indem er seine Dienste, Predigten und Missionen über einen Fernsehkanal verbreiten konnte. Sie vererbte ihrem Sohn Noah die Hälfte dieses Fonds, obwohl Jasper davon ausgegangen war, alles alleine zu erben.
Und nun war Noah dabei, einen Großteil seines Erbes dafür zu verwenden, diese alte Kirche wieder auf Vordermann zu bringen.
Er schaute in Richtung Küche. Ein weiterer Freigeist, sagte er sich. Wenn auch in einer komplett anderen Form.
Plötzlich krachte es, und kurz darauf ertönte ein lautes Platschen. Ellie fluchte. „Scheiße.“
Lucy erhob sich, und Noah blickte gen Himmel. „Sehr lustig“, sagte er zu Gott. „Das geht nicht gut.“ Dann stieg er von der Leiter und ging mit Lucy zur Küche.
Er blieb im Türrahmen stehen und beobachtete Ellie, die den Feudel schwang, um der Fluten Herr zu werden, die sich beim Umfallen des Eimers über den Boden ergossen hatten. Doch im Zentrum seiner Aufmerksamkeit stand etwas anderes – sein Blick verfinsterte sich, und er sah zur Uhr. Der Morgen war vorbei, bevor er es überhaupt bemerkt hatte. Er hatte sich total in Gedanken verloren. Und während er über seine Vergangenheit nachgedacht und Wände ausgebessert hatte, hatte Ellie wie besessen gearbeitet.
Die riesige, fast restaurantgroße Küche glänzte beinahe blitzblank. Der Boden war geschrubbt, gewischt und noch mal geschrubbt worden. Sie hatte jedenfalls eine Menge Dinge getan, die einen enormen Unterschied zu vorher sichtbar machten – die hohen Fenster waren geputzt und makellos sauber, die Fensterrahmen von Staub, Spinnweben und Dreck befreit. Die Arbeitsflächen waren gewienert und
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