Genesis. Die verlorene Schöpfung (German Edition)
lebhafte Stadt hatte mit der Zeit ihren besonderen Charme nicht verloren, auf der Kö, dem historischen Einkaufsboulevard und Epizentrum der Eitelkeiten, flanierten zahlreiche Menschen von einem prächtigen Schaufenster zum nächsten.
Anna saß in einem italienischen Straßencafé und genoss bei einer Tasse Milchkaffee das bunte Treiben. Ihr Tisch befand sich an der Seite, flankiert durch einige größere Pflanzen und einer schützenden Wand im Rücken. Von hier hatte sie alles im Blick, mit der Hand strich sie sich durch ihre langen roten Haare und beobachtete aufmerksam die Passanten, von denen es einigen beim Flanieren offensichtlich wichtiger war, selbst gesehen zu werden, als nur die aktuelle Sommerkollektion zu bewundern. Auch sie mochte Mode, die sie trotzdem mit Augenmaß konsumierte. Sie hielt es für besser, mehr zu geben als zu nehmen. Zudem würde sie die nächsten Jahre keine Designerkleider benötigen. Mit zufriedener Mine sinnierte Anna über ihre Vergangenheit. Die Zeit in der Heinrich-Heine-Universität hatte sie in guter Erinnerung, das medizinische Studium, die Promotion und die Arbeit im Institut hatten sie genau an den Punkt ihres Lebens gebracht, den sie immer angestrebt hatte. Sie stand vor dem größten Abenteuer ihres Lebens.
ECHTE LIEBE , stand in großen Lettern auf dem mobilen Lesegerät eines älteren Herrn, der am Nebentisch mit einem Lächeln den aktuellen Sportnachrichten folgte. Der dazugehörige Videoclip zeigte ausgelassen feiernde, schwarzgelb gekleidete Sportler, die vor wenigen Tagen die World Club Series 2268 gewonnen hatten. Für gewöhnlich schenkte Anna Fußball keine Aufmerksamkeit, nur dieser medialen Übermacht konnte sich niemand entziehen.
»Oh ... die Lautstärke ... ich schalte sofort den Ton aus«, entschuldigte sich der ältere Herr, als er merkte, dass er die mitreißende Reportage nicht allein hörte.
Anna lächelte, von den nächsten zwölf Meisterschaften würde sie nichts mitbekommen. Genauso wenig wie irgendwelche Berichte im Web oder in Zeitungen, noch nicht einmal Kollegen würden sie nerven können, die montags gerne überschwänglich alle anderen von ihren letzten Stadionbesuchen zu unterrichten pflegten.
»Frau Professor Dr. Anna Sanders-Robinson!«, begrüßte sie Vanessa, die mit einem freundlichen Lächeln auf sie zukam. Wie immer wenn sie von der Arbeit kam, trug sie ein schickes dunkles Kostüm. »Das hört sich unglaublich an.«
»Titel machen alt ... hallo Liebes.« Anna war stolz auf ihre Leistungen, mochte aber nicht damit hausieren gehen. Mit Vanessa verband sie eine gemeinsame Schulzeit und viele andere banale Geschichten. Die meisten davon hatten mit Männern zu tun. Sie arbeitete im Innenministerium, Vanessas Leben befand sich Lichtjahre von dem Wahnsinn ihrer Forschungsarbeit entfernt.
»Über deine Habilitation wurde sogar im Web berichtet. Ich kenne eine echte Professorin! Und was für eine! Einfach irre! Und mal so nebenbei, du bist gerade erst einunddreißig geworden!«
»Lass uns nicht über Arbeit sprechen. Möchtest du einen Milchkaffee?«, fragte Anna und lenkte das Gespräch in andere Bahnen. Viel Zeit blieb ihr nicht mehr.
»Gerne. Wie wäre es mit Franco?« Vanessa verstand es meisterlich, ein weiteres unangenehmes Thema anzusprechen. Anna lächelte und bestellte bei der Bedienung zwei Tassen Milchkaffee, die in diesem Caféhaus kleinen Kunstwerken glichen.
»Bestimmt gut. Madrid ist im Frühling ein Traum«, antwortete Anna und überlegte, wie sie dem Menschen, dem sie seit zwanzig Jahren mehrfach pro Woche ihr Herz ausschüttete, beibrachte, sie nun für zwölf Jahre zu verlassen. Zudem kannte sie einen Statistiker, der die Reisedauer nur zu 36,2 % sicher berechnet einschätzte. Immerhin eine optimistischere Einschätzung als die des inzwischen arbeitslosen Physikers, der glaubte zu 98,9 % sicher ermittelt zu haben, dass sich während der Beschleunigung die Materie ihrer Körper komplett verflüssigen würde.
»Höre ich da etwa eine Spur von getrennten Betten?« Vanessa brauchte nie lange, um auf den Punkt zu kommen.
»Na hör auf ... Franco suchte nur eine Mutter für seine Kinder! Lass uns nicht über ihn sprechen.« Über ihren Ex-Freund zu reden, passte noch weniger.
»Ok ... also keine Arbeit ... und kein Franco ... ach komm, du bist doch verrückt! Franco sieht aus wie ein junger Gott, ist gebildet, charmant, hat eine Schweinekohle und möchte Kinder mit dir haben. Oder hast du einen Neuen?«
»Nein, ich
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