Genesis. Die verlorene Schöpfung (German Edition)
dessen Architektur aus dunklen Verbundstreben und weißen Verkleidungsplatten auch im 23. Jahrhundert noch futuristisch wirkte.
»Noch bevor wir unser Sonnensystem verlassen, werden wir Sie einzeln zu den Kryo-Kapseln begleiten. Die zweieinhalb Jahre lange Reise wird für Sie nur einen Augenblick dauern.«
Der TV-Produzent schwenkte wieder auf den Moderator. »Meine Damen und Herren, Sie sehen, an Bord der Horizon wird für alle Fluggäste bestens gesorgt. Auf sie wartet ein unglaubliches Abenteuer!«
Anna sinnierte, ob die alle wirklich wussten, was sie erwartete? Sie selbst hatte einen Heidenrespekt davor, mehrere Jahre als ein in Kunststoff eingegossener Eisblock zu verbringen. Aber andernfalls würde niemand die G-Kräfte während der Beschleunigung überleben, 94 G waren beileibe kein Pappenstiel. Die Wahrscheinlichkeit, die Tortur zu überstehen, lag bei 99,85 %. Bei der Besatzungsstärke der Horizon würden also 3-4 Personen nicht überleben.
***
XV. Briefing
Anna lag im Bett. Es war 5 Uhr morgens und sie konnte nicht schlafen. Sich im Weltall noch an einen irdischen Tagesrhythmus zu halten, war merkwürdig. Auch wenn ihr keine sinnvolle Alternative einfiel. Verträumt berührte sie das mobile Display und spielte mit ihrem digitalisierten Alter Ego, was die abgebildete Anna nur verstohlen zwischen langen blauen Stoffbahnen hin und her huschen ließ. Beinahe als ob sich die Darstellung im Computer vor ihr versteckten wollte.
Pierre kannte sie besser als sie sich selbst, bereits bei der ersten Begegnung vor vier Jahren hatte sich Anna binnen weniger Minuten völlig nackt gefühlt. Warum hatte es eigentlich dann so lange gedauert, bis beide im Bett gelandet waren? Das wusste sie auch nicht mehr. Pierre vermittelte ihr immer das Gefühl, unverletzbar zu sein, was er letztendlich nicht geschafft hatte, auch wenn er dafür keine Schuld trug.
»Wer bist du?«, fragte die Anna auf dem Display vorsichtig. Was war das denn? Pierre vermochte sie auch zu überraschen, wenn er nicht mit ihr zusammen war.
»Meine Name ist Anna. Und wie heißt du?«, antwortete sie und spielte mit. Ob Pierre seinem kleinen Kunstwerk noch weitere Tricks beigebracht hatte?
»Oh ... meinen Namen ... nein, ich kenne meinen Namen nicht. Möchtest du mir einen geben?«, fragte die bildhafte Anna, während sie nur ihren Kopf hinter dem blauen Vorgang hervorstreckte.
»Vanessa.« Eine nette Spielerei, so konnte sich Anna zumindest in ihrer Fantasie mit ihrer Freundin unterhalten. Mit dem Handrücken wischte sie sich eine Träne weg.
»Warum weinst du?«
»Ähm ...« Anna suchte nach den richtigen Worten, sie sprach doch nur mit einem Bildschirmschoner.
»Vanessa wird dich sicherlich nicht vergessen. Es ist schön, dass du mir ihren Namen gibst.«
Anna schreckte auf und schaltete das Display ab. Was hatte Pierre dieser Computerroutine nur mitgegeben?
Es war halb acht Uhr morgens. Anna verließ ihr Quartier. Pierres sprechendes Bild hatte sie beeindruckt, aber das war nicht mehr als ein Taschenspielertrick, davon kannte er viele. Um acht begann ihr Dienst, bis zur Einsatzzentrale lief man nur wenige Minuten.
»Guten Morgen, Major«, begrüßte Kapitän Favelli sie freundlich und reichte ihr eine heiße Tasse Kaffee, als sie den Raum betrat. Auch hier waren die Wände mit zahlreichen Bildschirmen versehen.
»Kapitän. Danke.« Anna sah auch Peter Hennessy an und nickte. »Colonel.«
»Gut.« Peter ergriff das Wort. »Wir sollten beginnen. Heute liegt einiges an.«
»Fahren Sie fort«, gab ihm Favelli zu verstehen.
»Der Start der Horizon verlief ohne Zwischenfälle. Wir befinden uns auf dem Weg zum Mars. Geplante Ankunft in drei Tagen«, erläuterte Peter die aktuelle Lage. Anna hatte den eigentlichen Start aus der Umlaufbahn der Erde in ihrem Quartier verschlafen.
»Sehr gut. Was gibt es ansonsten zu berichten?« Favelli zeigte sich entspannt und gutgelaunt.
»Wir haben heute die neuen Statistiken über Alkohol, Zigaretten und Medikamentenmissbrauch auf der Erde bekommen. Die Zahlen nehmen stetig zu. Die Auswertungen sehen bei 23 % der Bevölkerung Suchtprobleme oder suchtbedingte Folgeerkrankungen.«
»Wie wahrscheinlich sind diese Hochrechnungen?«, fragte Anna aufmerksam.
»100 %, wie üblich. Der SAOIRSE-Nachrichtendienst hat Zugriff auf alle relevanten Krankenakten. Wieso fragen Sie?« Peter zeigte sich sichtlich überrascht.
»Schon gut.« Anna hätte sich diese Frage nicht stellen sollen. Das SAOIRSE-Programm
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