Genial gescheitert - Schicksale großer Entdecker und Erfinder
konnte.
So wurden in die Gebärabteilung zwei kranke Frauen eingeliefert. Die eine litt an Brustkrebs, der so weit fortgeschritten war, dass aus einem offenen Geschwür übel riechendes Sekret austrat. Bei der anderen Frau bildete sich ein eitriges Geschwür am Knie. In beiden Fällen hatten die Schwestern das Sekret unwissentlich in den Uterus der Schwangeren übertragen, woraufhin diese am Kindbettfieber erkrankten. Daraus schloss Semmelweis Ende 1847, dass nicht nur »Cadavertheile« die Krankheit auslösen, sondern jede Art von organischem Fäulnismaterial. Semmelweis sprach stets von zersetztem, tierisch-organischem Stoff.
Spätestens jetzt hätte Semmelweis seine Ergebnisse in einer Fachzeitschrift veröffentlichen müssen. Doch zur Verwunderung der jungen Kollegen, die ihm beipflichteten, griff er nichtzur Feder. Stattdessen unternahm Semmelweis auf Anraten seines Mitstreiters Joseph Skoda einige Versuche, indem er trächtige Kaninchen mit entzündlichen Absonderungen malträtierte. Die armen Tiere starben zwar, aber die Ergebnisse dieser ebenfalls unveröffentlichten Versuche überzeugten nicht. Entscheidend waren die statistischen Resultate aus der Klinik und vor allem der Erfolg nach der Einführung der Desinfektion mit Chlorlösung und Chlorkalk.
Wenn schon nicht der Entdecker selbst aktiv wurde, dann mussten es wenigstens seine wenigen Mitstreiter werden. Als Erster setzte sich Ferdinand Hebra für ihn ein. Er war nicht nur Arzt, sondern auch Redakteur der Zeitschrift der kaiserlich-königlichen Gesellschaft der Ärzte zu Wien. Dort platzierte er im Dezember 1847 einen kurzen Artikel über Semmelweis’ Erkenntnisse und die erfolgreiche Anwendung der Desinfektion in der Gebärklinik. Im April des folgenden Jahres fügte Hebra hinzu, dass er zwei zustimmende Briefe erhalten habe, und zwar von einem Professor in Amsterdam und Gustav Adolf Michaelis in Kiel. Letzterer erlitt ein besonders tragisches Schicksal.
Michaelis hatte kurz nach der Veröffentlichung von Hebras Artikel in seiner Klinik die Chlorwaschung eingeführt und konnte den schlagartigen Erfolg bestätigen. Noch kurz zuvor hatte er seine Nichte selbst entbunden. Sie starb am Kindbettfieber. Er ertrug die Gewissensbisse nicht und nahm sich kurz darauf das Leben.
Als Nächster machte sich Skoda für Semmelweis stark. Im Januar 1849 stellte er vor dem Professorenkollegium den Antrag, eine Kommission einzusetzen, welche die Verhältnisse in der Gebärklinik überprüfen sollte. Dem Ersinnen wurde stattgegeben, der Prüfungsgruppe sollten unter anderem Skoda selbst und Carl Rokitansky angehören. Doch vier Tage nach Skodas Antrag reichte Klinikleiter Klein Protest ein. Er beklagte sich darüber, dass Skoda selbst Mitglied sei, wo doch jeder wisse, dass sich dieser »als mein persönlicher Feind bewährthat«. 8 Ferner sei das Komitee nur eingerichtet worden, um seine Ehre zu untergraben, und überhaupt sei eine unparteiische Untersuchung und ein gerechtes Urteil nicht zu erwarten. Klein forderte deswegen eine Kommission mit unvoreingenommenen Fachleuten. Mit dieser Protestnote wandte er sich nicht an die Professoren, sondern an das kaiserliche Unterrichtsministerium. Das gab ihm recht.
Zu allem Übel endete in dieser Phase auch noch Semmelweis’ befristeter Vertrag als Assistent. Semmelweis hatte schon Ende 1848 um Verlängerung gebeten, doch daraus wurde nun nichts. Am selben Tag, als Klein seinen Protest eingereicht hatte, schlug er einen Neuling namens Carl Braun für die Assistenzstelle vor, die dieser selbstverständlich auch erhielt.
Die jungen Kollegen waren entsetzt. Skoda riet Semmelweis, im Ministerium gegen die Entscheidung Berufung einzulegen, was er im März auch tat. Klein fühlte sich seinerseits in die Enge getrieben und führte vor dem Ministerium seine Gründe gegen eine Verlängerung von Semmelweis’ Vertrag an. Er behauptete, Semmelweis habe sich gegenüber dem Lehrkörper anmaßend und eigenmächtig verhalten. Schließlich bezichtigte er Semmelweis sogar, in einem Fall schuld an dem Tod eines Kindes gewesen zu sein, das durch eine Operation hätte gerettet werden können. Klein endete den Brief mit der Hoffnung, das »hohe Ministerium werde ihm seine letzten Dienstjahre nicht durch einen gegen ihn feindlich gesinnten Assistenten verbittern wollen«. 9
Am 31. März trafen in einer Fakultätssitzung Semmelweis’ Gegner und Mitstreiter aufeinander. Vehement setzte sich vor allem Rokitansky für seinen jungen Kollegen ein
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