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Genial gescheitert - Schicksale großer Entdecker und Erfinder

Genial gescheitert - Schicksale großer Entdecker und Erfinder

Titel: Genial gescheitert - Schicksale großer Entdecker und Erfinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Buehrke
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wichtiger Grund waren dessen Ungarischkenntnisse.
    Die neue Gebärklinik war mit nur 26 Betten noch kleiner als diejenige im Rochus-Spital. Außerdem war das Personal gar nicht gut zu sprechen auf die lästigen Hygienevorschriften des neuen Chefs. Birly hatte Semmelweis’ Theorie stets abgelehnt. Außerdem war der Etat so gering, dass Semmelweis nicht einmal genügend Bettzeug erhielt, um seine Hygienemaßnahmen durchzusetzen. Kurzerhand kaufte er es auf eigene Kosten. Als es 1856/57 dennoch zu 16 unerwarteten Todesfällen kam, ging Semmelweis der Sache auf den Grund und fand heraus, dass die Oberschwester nicht ausreichend gereinigte Bettlaken verwendet hatte. Außer sich vor Zorn packte Semmelweis einen Stapel schmutziger Laken und warf sie dem Verwaltungsbeamten vor die Füße. Als Folge davon bekam seine Klinik zwar wieder sauberes Bettzeug, aber Semmelweis hatte sich einige Feinde mehr geschaffen. Auch seine Jähzornausbrüche trugen nicht gerade zu einem freundschaftlich gesinnten Personal bei.
    In dieser Phase unternahm Semmelweis den Versuch, nach Wien zurückzukehren, um dort die Nachfolge seines ehemaligen Chefs Klein zu übernehmen. Aber wie kaum anders zu erwarten, entschied sich die Kommission für seinen Erzrivalen Carl Braun. Der Grund: Semmelweis habe keine Veröffentlichung vorzuweisen.
    Während Semmelweis beruflich immer wieder Rückschläge erlitt, eröffneten sich privat plötzlich ganz neue Perspektiven. Er hatte, vermutlich über eine geschäftliche Verbindung seiner Brüder, die gerade einmal zwanzig Jahre junge Kaufmannstochter Maria Weidenhoffer kennen gelernt. Sie heirateten im Juni 1857 und zogen in ein großes Wohnhaus nahe der Donau. Sein Privatleben geriet dadurch in ein friedliches Fahrwasser,aber in der Klinik führte er weiter die alten Grabenkämpfe gegen eine knauserige Verwaltung. Gleichzeitig erfand er neue Untersuchungs- und Operationsmethoden, über die er in Vorträgen berichtete und die er sogar in der Fachzeitschrift ›Orvosi Hetilap‹ veröffentlichte – allerdings auf Ungarisch. Gleichzeitig schrieb er vielen Vorständen von Gebärhäusern und klärte sie über die Ursache des Kindbettfiebers und die einfachen Gegenmaßnahmen auf. Doch die meisten glaubten ihm immer noch nicht.
    Seine Veröffentlichungen auf Ungarisch reichten keinesfalls aus, um seine Erkenntnisse über die Grenzen hinweg zu verbreiten, wer verstand diese Sprache schon? Deshalb drängte ihn der Herausgeber der ›Orvosi Hetilap‹, seine Lehre auf Deutsch niederzuschreiben. Endlich setzte er sich an den Schreibtisch. 18 Monate lang schrieb er unermüdlich und legte im Oktober 1860 sein einziges großes Werk vor: ›Die Ätiologie, der Begriff und die Prophylaxe des Kindbettfiebers‹. Auf 544 Seiten erfuhr der Leser alles über seine Studien in Wien, bekam Einsicht in die statistischen Daten und die Ergebnisse der Chlorwaschung. Das stilistisch sperrige Werk bildete die Grundlage der modernen Hygiene und es ist die erste Arbeit, in der medizinische Erkenntnisse auf statistischem Wege erzielt wurden.
    Nicht zuletzt widmete er einen Teil der ›Ätiologie‹, um mit seinen Gegnern abzurechnen. Am ausgiebigsten beschäftigte er sich mit seinem »liebsten Feind« Carl Braun, dem er nicht nur Unwissenheit, sondern auch bösen Willen vorwarf. Und weil er schon einmal dabei war, attackierte er auch noch Rudolf Virchow, den angesehenen Chefpathologen an der Charité in Berlin. Er beschimpfte ihn als Schreckensbild für die Naturforschung und einen schlechten Beobachter. Virchow hatte 1858 darauf hingewiesen, dass in der Charité die meisten Frauen in den Wintermonaten am Kindbettfieber erkrankt waren. Er führte dies darauf zurück, dass in dieser kalten Jahreszeit die Zimmer nicht ausreichend gelüftet würden und sichso gesundheitsschädliche Luft ansammeln konnte. Semmelweis kannte natürlich den wahren Grund: Im Wintersemester fanden mehr Untersuchungen der Wöchnerinnen durch Studenten statt.
    Mit Akribie nahm Semmelweis auch den Leiter der Gebärklinik in Prag, Friedrich Wilhelm Scanzoni, auseinander. Scanzoni war nach Versuchen mit Chlorwaschungen zu dem Ergebnis gekommen, dass diese Praxis nicht helfe, sondern das Kindbettfieber epidemische Ursachen habe. »Wenn Scanzoni so grossartige Erfahrungen machen konnte, so entnimmt daraus der trauernde Menschenfreund, welch eine entsetzliche Verschwendung an Menschenleben auch im Prager Gebärhaus stattgefunden, und das sind nur die Mütter, und wo ist erst

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