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Genial gescheitert - Schicksale großer Entdecker und Erfinder

Genial gescheitert - Schicksale großer Entdecker und Erfinder

Titel: Genial gescheitert - Schicksale großer Entdecker und Erfinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Buehrke
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Epidemien auftrete, was zu den genannten Ursachen natürlich gar nicht passte. Stattdessen machten sie eine schlechte, krankheitserregende Atmosphäre dafür verantwortlich. Der schottische Arzt Alexander Gordon zum Beispiel versuchte in Aberdeen einer drei Jahre lang wütenden Kindbettfieberepidemie dadurch Herr zu werden, dass er die Räume ausräuchern sowie Betten, Nachthemden und Bettzeug verbrennen ließ. Ohne Erfolg.
    Das alles überzeugte den Assistenten Ignaz Semmelweis nicht. Er ging die Fragestellung systematisch an und trug zunächst einmal alle verfügbaren Daten zusammen, zum Beispiel über Gassengeburten. Dabei handelte es sich um Babys, die auf der Straße geboren wurden. Viele dieser Mütter begaben sich anschließend zur Pflege in die Klinik. »Ich habe bemerkt, dass nun gerade die Wöchnerinnen, welche eine Gassengeburt überstanden hatten, auffallend seltener erkrankten als diejenigen, welche im Gebärhaus geboren hatten«, 4 schrieb er. Der Grund wurde ihm später klar: Frauen, welche die Geburt bereits hinter sich hatten, wurden von den Ärzten und Studenten nicht mehr untersucht und damit auch nicht angesteckt. In dieselbe Richtung ging auch die Erkenntnis, dass weniger Fälle von Wochenbettfieber auftraten, wenn sichin den Semesterferien die Unterrichtsstunden im Gebärhaus verringerten. Semmelweis fand überdies keinen Hinweis darauf, dass Frauen bevorzugt in besonderen, gesundheitsschädlichen Bereichen der Gebärklinik, wie der kühleren Nordhälfte, am Kindbettfieber erkrankten. Auch war die Krankheit ganz offensichtlich nicht ansteckend.
    Mit all diesen Befunden entkräftete Semmelweis die am häufigsten vorgebrachte Hypothese, das Kindbettfieber sei eine Epidemie. Diese Erklärung passte auch überhaupt nicht zu der unleugbaren Tatsache, dass die Sterblichkeitsrate in der ersten, ärztlichen Abteilung um ein Vielfaches höher war als in der zweiten der Hebammen.
    Die Situation war beklemmend und beunruhigte Semmelweis zutiefst. Täglich kamen Priester in die Klinik, um die Sterbesakramente zu spenden, wobei ihnen der Kirchendiener mit Glockengeläute vorausschritt. »Mir selbst war es unheimlich zu Muthe, wenn ich das Glöckchen an meiner Thüre vorübereilen hörte; ein Seufzer entwand sich meiner Brust für das Opfer, welches schon wieder wegen einer unbekannten Ursache fällt. Dieses Glöckchen war eine peinliche Mahnung, dieser unbekannten Ursache nach allen Kräften nachzuspüren«, 5 erinnerte er sich später und fuhr resigniert fort: »Alles war unerklärt, alles war zweifelhaft, nur die grosse Anzahl der Toten war eine unzweifelhafte Wirklichkeit.« 6
    In dieser verfahrenen Lage gönnte sich Semmelweis eine Auszeit und reiste Anfang März 1847 zusammen mit zwei Freunden nach Venedig. Noch ganz begeistert von den Eindrücken der Kunstschätze in der Lagunenstadt kehrte er am 20. März nach Wien zurück. Dort erfuhr er, dass der von ihm sehr geschätzte Jakob Kolletschka eine Woche zuvor gestorben war. Ursache: Leichenvergiftung. Wie eingangs beschrieben, ließ Semmelweis die Geschichte nicht los, bis er endlich auf den Zusammenhang mit den an Kindbettfieber gestorbenen Wöchnerinnen stieß. In beiden Fällen waren die gleichen Befunde aufgetreten. Seine Schlussfolgerung war ebenso klarwie erschütternd: Die Ärzte und Studenten hatten die Frauen mit »Cadavertheilen« angesteckt. »Consequent meiner Überzeugung muss ich hier das Bekenntnis ablegen, dass nur Gott die Anzahl derjenigen kennt, welche wegen mir frühzeitig ins Grab stiegen«, schrieb er später und fuhr fort: »So schmerzlich und erdrückend auch eine solche Erkenntnis ist, so liegt die Abhilfe doch nicht in der Verheimlichung.« 7
    Es gehörte damals zur gängigen Praxis, medizinische Instrumente mit wässriger Chlorlösung von Fäulnisgeruch zu befreien. Deshalb ordnete Semmelweis an, dass sich jeder Arzt und Student die Hände damit abwaschen müsse, wenn er von einer Sektion kommend die Wöchnerinnen untersuchen wollte. Der überwältigende Erfolg dieser Maßnahme war wie schon erwähnt umgehend sichtbar.
    Trotzdem wollte Klinikleiter Klein nicht an diese Erklärung glauben, zumal er dann selbst als eifriger Sezierer mit schuld gewesen wäre am Tod vieler hundert Frauen. Klein hatte eine neue Lüftung installieren lassen mit der Begründung, schlechte Luft sei der Grund für die geringere Sterblichkeitsrate. Doch Semmelweis stieß auf weitere Befunde, mit denen er seine Theorie untermauern, ja sogar ausweiten

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