Genial gescheitert - Schicksale großer Entdecker und Erfinder
bis dahin schlimmsten Monat, dem April 1847, hatte sogar mehr als 18 Prozent aller Wöchnerinnen das Kindbettfieber den Tod gebracht – also fast jeder fünften Frau. Bei Hausgeburten und sogar bei Gassengeburten ohne jegliche Unterstützung ist dagegen die Sterblichkeitsrate weit niedriger als in der ersten Abteilungder berühmten Klinik, findet Semmelweis heraus. Da diese erschreckende Bilanz in der Bevölkerung bekannt ist, kommt es im Krankenhaus immer wieder zu erschütternden Szenen, wenn Frauen erfahren, dass sie in die erste Abteilung eingeliefert werden. Dies geschieht immer an bestimmten Wochentagen, und hiervon erlauben die Ärzte keine Ausnahme.
Die Mediziner machen verschiedenen Ursache für dieses traurige Phänomen verantwortlich, schlechte Luft führen sie ebenso an wie jahreszeitliche oder magnetische Einflüsse. Semmelweis selbst hat noch in seinem ersten Jahr an der Klinik veranlasst, dass die Wöchnerinnen nicht mehr wie in der ersten Abteilung in der Rückenlage gebären sollten, sondern in der Seitenlage, wie es die Hebammen in der zweiten praktizieren. Zu guter Letzt hat Klinikleiter Johann Klein angeordnet, die ausländischen Studenten von den Untersuchungen fernzuhalten, weil diese angeblich zu grob vorgehen würden. Doch es hat alles nichts geholfen: Die Sterblichkeitsrate ist unakzeptabel hoch geblieben.
Nun ist sich der junge Assistent Semmelweis sicher: Es sind die Ärzte, Assistenten und Studenten selbst, die den Frauen den Tod bringen. Zwar waschen sich die Mediziner nach einer Sektion die Hände mit Seife, aber wie Semmelweis aus eigener Erfahrung weiß, reicht das nicht aus: »Dass nach der gewöhnlichen Art des Waschens der Hände mit Seife die an der Hand klebenden Cadavertheile nicht sämmtlich entfernt werden, beweist der cadaveröse Geruch, welchen die Hand für längere oder kürzere Zeit behält.« 2 Umgehend ordnet er an, dass sich fortan jeder nach einer Sektion die Hände intensiv mit verdünnter Chlorlösung reinigen muss, bevor er eine schwangere Frau untersucht. Später geht er zu dem wesentlich billigeren Chlorkalk über.
Umgehend stellt sich der erhoffte Erfolg ein: Bis zum Ende des Jahres geht die Sterblichkeitsrate auf durchschnittlich drei Prozent zurück, im nächsten Jahr fällt die Rate sogar auf 1,3 Prozent und liegt damit in dem Bereich, den die zweite Abteilungseit jeher verzeichnet. Damit scheint die Ursache erkannt und die Gefahr gebannt zu sein. Doch dem vernünftigen, rationalen Denken steht bei den alten Medizinern, allen voran Klinikleiter Klein, die verletzte Eitelkeit entgegen. Sie können und wollen nicht zugeben, dass sie schuld sind an dem Tod von Tausenden von Frauen. Ein harter Kampf entbrennt zwischen Semmelweis und seinen wenigen, jungen Anhängern auf der einen und den etablierten Ärzten auf der anderen Seite. Semmelweis führt noch weitere Beweise für seine Behauptung an. Doch nach drei Jahren, in denen er sich Anfeindungen und Intrigen ausgesetzt sieht, verlässt er Wien.
Trotz der überzeugenden Resultate in der Gebärklinik, die sich zudem mit so einfachen Mitteln erzielen ließen, setzen sich seine Ideen nur zögerlich durch. Bis aufs Äußerste gereizt wendet er sich in öffentlichen Briefen an seine uneinsichtigen Kollegen und beschimpft sie als Mörder und medizinische Neros. Schließlich liefert man ihn wegen angeblicher Geisteskrankheit in eine geschlossene Klinik ein, wo er zwei Wochen später stirbt – an einer entzündeten Schnittwunde an einem Finger, womit sich der Kreis zu seiner Entdeckung auf tragische Weise schließt. Bis heute bleibt es ungeklärt, ob Semmelweis wirklich geistig verwirrt war oder ob er das Opfer eines Komplotts wurde.
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Am 1. Juli 1818 gebar Teresa Semmelweis in der schönen Stadt Buda, die sich später mit Pest zu Budapest vereinen sollte, einen Sohn namens Ignaz. Vier Geschwister bewohnten bereits das große Haus nahe der Donau, vier weitere sollten sich noch hinzugesellen. Der Vater dieser kinderreichen Familie war ein vermögender Kaufmann, die Mutter stammte aus der wohlhabenden Familie eines bayrischen Kutschenbauers. In dem zur österreichisch-ungarischen Monarchie gehörenden Buda sprach man Deutsch, erst später lernte Ignaz Ungarisch.Er war ein sehr guter Schüler und legte das Abitur als Zweitbester des Jahrgangs ab.
Nach einem zweijährigen Anschlussstudium der Philosophie in Pest bot sich nun ein Jurastudium an. Das jedenfalls schwebte dem Vater vor, der aus seinem Sohn einen hohen
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