Heiliger Zorn
Wahrscheinlich war der Ort, an dem sie mich aufgeweckt haben, sorgfältig vorbereitet.
Das Gleiche dürfte für das Empfangszimmer gelten, in dem sie ihr Angebot unterbreitet haben. Die Harlan-Familie macht keine halben Sachen, und jeder, der schon einmal von ihnen empfangen worden ist, weiß genau, dass sie gerne Eindruck schinden. Das goldgesprenkelte schwarze Dekor passt zu den Familienwappen an den Wänden, und ein subsonisches akustisches Ambiente vermittelt einem ein so tiefes und eindringliches Gefühl von Erhabenheit, dass es einem die Tränen in die Augen treibt. In einer Ecke steht ein marsianisches Artefakt, das durch seine Anwesenheit verkünden soll, dass die planetare Wächterschaft von den längst verschwundenen nichtmenschlichen Wohltätern in den festen, zeitgemäßen Griff der Oligarchie der Ersten Familien übergegangen ist. Dann ist da noch die unvermeidliche Holoskulptur, von Konrad Harlan höchstpersönlich, in der triumphalen Pose des »Planetenentdeckers« – eine Hand hoch erhoben, die andere gegen die Glut einer fremden Sonne an die Stirn gelegt. All dieses Zeug eben.
Und hier kommt Takeshi Kovacs, aufgetaucht aus einem Ganzkörpergeltank und in eine neue fleischliche Hülle gesleevt. Prustend stolpert er ins weiche Pastelllicht und lässt sich von unterwürfigen Höflingen in ausgeschnittenen Badekostümen auf die Beine helfen. Man reicht ihm watteweiche Handtücher, um die gröbsten Gelrückstände zu beseitigen, und einen Bademantel aus dem gleichen Material für den kurzen Weg zum nächsten Zimmer. Eine Dusche, ein Spiegel – gewöhn dich lieber gleich an dein neues Gesicht, Soldat – und neue Kleidung, passend zum neuen Sleeve, dann geht es weiter ins Audienzzimmer zum Gespräch mit einem Mitglied der Familie. Natürlich eine Frau. Bei allem, was sie über meinen Hintergrund wussten, würden sie niemals einen Mann einsetzen. Mit zehn Jahren vom Alkoholikervater verlassen, gemeinsam mit zwei jüngeren Schwestern aufgewachsen und eine lebenslange Geschichte sporadischer psychotischer Reaktionen auf väterliche Autoritätsfiguren. Nein, es ist eine Frau gewesen. Irgendeine mondäne Tante in verantwortlicher Position, eine geheimdienstliche Managerin für die weniger öffentlichen Angelegenheiten der Harlan-Familie. Eine unaufdringliche Schönheit in einem maßgeschneiderten Klonsleeve, wahrscheinlich Anfang vierzig, Standardmaße.
»Willkommen zurück auf Harlans Welt, Kovacs-san. Alles zu Ihrer Zufriedenheit?«
»Ja. Und Sie?«
Selbstgefällige Unverschämtheit. Das Envoy-Training befähigt einen dazu, kleinste Umgebungseindrücke mit einer Geschwindigkeit aufzunehmen und zu verarbeiten, von der normale Menschen zur träumen können. Als der Envoy Takeshi Kovacs sich umsieht, weiß er innerhalb von Sekundenbruchteilen, dass man ihn hier verdammt dringend braucht – genau genommen weiß er es bereits, seit er im Ganzkörpergelbad erwacht ist.
»Ich? Sie können mich Aiura nennen.« Sie spricht Amenglisch, nicht Japanisch, aber die wunderbar konstruierte Art, auf die sie meine Frage falsch auslegt und einer Beleidigung ausweicht, anstatt ihr Heil in der Empörung zu suchen, geht eindeutig auf die kulturellen Wurzeln der Ersten Familien zurück. Die Frau winkt mit einer gleichermaßen eleganten Handbewegung ab. »Aber meine Person ist in diesem Zusammenhang nicht von größerer Bedeutung. Ich denke, Ihnen ist klar, wen ich repräsentiere.«
»Ja, sicher.« Vielleicht ist es das subsonische Ambiente, vielleicht auch nur die nüchterne Erwiderung der Frau auf meine Respektlosigkeit – jedenfalls dämpft etwas die Arroganz meines Tonfalls. Envoys saugen ihre Umgebung auf, was zum Teil auch ein Kontaminationsprozess ist. Oft erwischt man sich dabei, dass man bei anderen beobachtetes Verhalten nachahmt, besonders, wenn die Envoy-Intuition feststellt, dass es in der gegebenen Situation vorteilhaft ist. »Also bin ich Ihnen zugeteilt.«
Aiura räuspert sich leicht.
»Ja, so ließe es sich ausdrücken.«
»Werde ich allein eingesetzt?« Das ist an und für sich nicht unüblich, aber es macht auch nicht besonders viel Spaß. Teil eines Envoy-Teams zu sein verleiht ein Selbstvertrauen, das man bei der Arbeit mit normalen Menschen niemals empfindet.
»Ja. Das heißt, Sie werden der einzige Envoy im Team sein. Konventionellere Ressourcen stehen Ihnen allerdings in großer Zahl zur Verfügung.«
»Klingt gut.«
»Das wollen wir hoffen.«
»Und was soll ich tun?«
Wieder ein leises
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