Georg Büchner - Gesammelte Werke: Dantons Tod, Lenz, Leonce und Lena, Woyzeck, Lucretia Borgia, Maria Tudor (Gesammelte Werke bei Null Papier) (German Edition)
Musikchor vormarschiert. So ziehen wir in die Stadt, begleitet von einer ungeheuren Volksmenge unter Absingung der Marseillaise und der Carmagnole; überall erschallt der Ruf: Vive la liberté! vive Romarino! à bas les ministres! à bas le juste milieu! Die Stadt selbst illuminiert, an den Fenstern schwenken die Damen ihre Tücher, und Romarino wird im Triumph bis zum Gasthof gezogen, wo ihm unser Fahnenträger die Fahne mit dem Wunsch überreicht, daß diese Trauerfahne sich bald in Polens Freiheitsfahne verwandeln möge. Darauf erscheint Romarino auf dem Balkon, dankt, man ruft Vivat! – und die Komödie ist fertig. (…)
3
An die Familie
Dezember 1831
Aus Straßburg nach Darmstadt
(…) Es sieht verzweifelt kriegerisch aus; kommt es zum Kriege, dann gibt es in Deutschland vornehmlich eine babylonische Verwirrung, und der Himmel weiß, was das Ende vom Liede sein wird. Es kann Alles gewonnen und Alles verloren werden; wenn aber die Russen über die Oder gehn, dann nehme ich den Schießprügel, und sollte ich’s in Frankreich tun. Gott mag den allerdurchlauchtigsten und gesalbten Schafsköpfen gnädig sein; auf der Erde werden sie hoffentlich keine Gnade mehr finden. (…)
1832
4
An die Familie
um Mitte April 1832
Aus Straßburg nach Darmstadt
(…) Das einzige Interessante in politischer Beziehung ist, daß die hiesigen republikanischen Zierbengel mit roten Hüten herumlaufen, und daß Herr Périer die Cholera hatte, die Cholera aber leider nicht ihn. (…)
5
An Edouard Reuss
20. August 1832
Aus Darmstadt nach Straßburg
Lieber Eduard!
Nicht wahr, ich sollte eigentlich mit einigen Dutzend Entschuldigungen anfangen? aber Himmel, ich habe dies schon im beiliegenden Brief getan, und wiederhole dergleichen nicht gern, ich krieche also untertänigst zu Kreuz und bitte um Pardon für den nachlässigen Delinquenten. Ich denke Du nimmst diesen papiernen Ölzweig und Friedensfahne auch so ohne weite Friedens-Präliminarien an und zankst nicht weiter mit mir, der ich Dich 3 volle Wochen warten ließ und lässest mich nicht eben so lange warten. Ich freue mich ordentlich, daß dieser Wisch Papier an einen Ort kommen soll, der mir eine zweite Vaterstadt geworden und dem ich, wenn ich einmal als ein gefürsteter Zweifüßler, longimanus und omnivore sterben sollte, die eine Herzkammer nebst meinem übrigen durchlauchtigsten Cadaver vermachen würde, während ich denn doch wohl die andere Herzkammer meinem Vaterhause ließe, aber auch nur meinem Vaterhause , denn ach! ich armseliger Kreuzträger, sitze erstens im lieben heiligen teutschen Reich, zweitens im Großherzogtum Hessen , drittens in der Residenz Darmstadt , zuletzt sitze ich nun noch freilich in der Mitte meiner Familie, aber ich bin leider noch nicht so patriarchalisch geworden, daß ich über diesen Abrahamsschoß die drei übrigen Klassifikationen vergessen sollte.
Die erste umfaßt die Sekte der Nabelbeschauer, die sich von der alten wohlbekannt nur dadurch unterscheidet, daß sie beim Nabel nicht mehr an Gott, sondern bei Gott an den Nabel denkt, die zweite, als Unterabteilung umfaßt ein Stück des Teils, wo der Nabel und Bauch-Gottesdienst als konstitutionell aufgeklärter Liberalismus getrieben wird, die dritte endlich umfaßt die ordinierten Geistlichen und trägt als Ordenskleid die Hoflivree und als Wappen den Hessischen Haus und Zivil-Verdienstorden e. c. t.
Du kannst Dir wohl denken, wie wohl ich mich dabei befinde, doch füge ich mich in die Umstände und bin dabei so ein anständiger, so ein rechtlicher, so ein zivilisierter junger Mann geworden, daß ich bei einem Minister den Tee einnehmen, bei seiner Frau auf dem Kanapee sitzen und mit seiner Tochter eine Françoise tanzen könnte; wir sind im neunzehnten Jahrhundert, bedenke was das heißen will!
Ach, lieber Eduard! schreibe mir nur bald, daß ich doch etwas aus Straßburg zu sehen bekomme, ich habe wohl Eltern und Geschwister hier, aber alle meine Freunde sind fort und ich bin fast ganz isoliert; ich war wohl die ersten Tage froh, aber ich kann einmal diese Luft nicht vertragen, sie ist mir noch eben so zuwider, als zur Zeit da ich fortging. Ich lamentiere Dir da etwas vor und Du möchtest wohl etwas Vernünftiges von mir hören, aber es ist unmöglich weder von, noch in Darmstadt dergleichen zu schreiben, ist auch noch nie geschehen.
Nur das: Deine Aufträge sind besorgt, Zimmermanns Sohn hat noch die Redaktion der Kirchen-Zeitung, wird sie jedoch wie man sagt, mit
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